Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
konntest nicht einmal für Kumpel sorgen. Du hast ihn sterben lassen .
Für diesen Gedanken war er noch nicht bereit. Er schluckte ihn herunter und blinzelte heftig.
Nun war es beinahe Mittag, und der Asago-Wind hob die Zeltbahnen mit seinem heißen Atem. Er kam immer zu dieser Jahreszeit und besonders in diesen Stunden des Tages. Bald würde die steigende Hitze die Menschen in die kühleren Chee-Häuser treiben, wo sie die Mittagszeit halbwegs friedlich und bequem verbringen und Geschäfte abschließen oder Ylang spielen konnten, während sie dicken Chee aus winzigen Bechern tranken. Nico bemerkte die Hitze kaum, als er mit der abnehmenden Menschenmenge zog und ungestört zur südwestlichen Ecke des gewaltigen Platzes kam, wo sich dieser wie ein großer Seufzer der Erleichterung zum weiten Hafen hin öffnete.
Hier fand Nico die Straßenartisten. Sie standen oder saßen überall dort, wo sie ein Plätzchen im Strom der Schauerleute gefunden hatten, die vom Hafen zum Basar unterwegs waren. Viele hatten für die Mittagspause bereits eingepackt, aber die Zäheren – oder vielleicht auch die Bedürftigeren – machten trotz der Hitze weiter. Nico beobachtete die Jongleure und Zungenleser sowie die Bettelmönche, die vor ihren Schüsseln saßen – unechte Mönche, wie seine Mutter immer behauptet hatte – , bis er schließlich zu einer Gruppe von Schaustellern
kam, die in der Menge kaum zu erkennen waren. Er drängte sich an sie heran, um sie besser sehen zu können.
Es war eine aus zwei Männern und einer Frau bestehende Schauspielertruppe, die er nie zuvor gesehen hatte. Ohne weiter nachzudenken, schob er sich durch die Menge, bis er ganz vorn stand.
Es war ein einfaches Schauspiel: die Geschichte eines armen Seetangbauern und seiner Liebe zu einer wunderschönen Meereshexe. Es handelte sich um Die Geschichten des Fisches und wurde von dem jüngeren der beiden Männer, der kaum älter als Nico war, in jener einfachen Weise erzählt, die im Gegensatz zu den alten, langatmigen Sagas immer beliebter geworden war.
Mit zitternder, hoher Stimme teilte der junge Mann die Handlung mit, während die Frau und der ältere Mann ihren Part als Pantomimen spielten. Es war offensichtlich, warum sie ein so großes Publikum angezogen hatten. Die Frau war groß, geschmeidig, wundervoll gebräunt und spielte die Meereshexe in einem passenden Kostüm, was bedeutete, dass sie nackt war, wenn man von dem glatten goldenen Haar und den Streifen von Seetang absah, die sie um einige ausgewählte Teile ihres Körpers geschlungen hatte. Das köstliche Aufblitzen von Schenkeln und Brustwarzen lenkte Nicos Aufmerksamkeit immer wieder ab und zog seinen Blick unwiderstehlich an, während er versuchte, sich auf die Darbietung zu konzentrieren.
Wann immer Nico irgendwo Schauspieler sah, schaute er ihnen zu, und diese Frau war seiner Meinung nach
eine wahre Künstlerin, deren große Fähigkeiten einen beträchtlichen Kontrast zum geringeren Talent ihrer Partner bildeten. Der Mann war zu deutlich und prahlerisch in seiner Rolle, und nur wenige Zuschauer schienen überhaupt auf ihn zu achten. Sie alle begafften das weibliche Fleisch, genau wie Nico selbst.
Er sah noch immer verzaubert zu, als Applaus das tragische Ende der Geschichte ankündigte – der Seetang-bauer hatte im Wasser den Tod gefunden, während er seiner Geliebten hinaus aufs Meer gefolgt war. Erst als der junge Erzähler mit leerem Hut vor der Menge herumging und um Spenden bat, bemerkte Nico, dass sein Mund offen stand, und sofort schloss er ihn wieder. Währenddessen hatte sich die Schauspielerin eine dünne Robe um die Schultern gelegt. Sie pflückte den Seetang darunter ab und legte ihn in einen hölzernen kleinen Kübel. Als sie das Haar zurückschüttelte, betrachtete sie die Menge und fing Nicos Blick auf. Sie schaute nicht weg.
Noch vor einem Jahr hätte Nico vor Verlegenheit auf seine Füße gestarrt. Doch das vergangene Jahr in der Stadt hatte ihn gelehrt, solchen Blicken nicht auszuweichen, denn er hatte eine Menge davon erhalten. Den Grund dafür kannte er nicht. Nico hielt sich nicht für sonderlich schön; selbst als er noch genug zu essen gehabt hatte, war er immer dünn gewesen. Und wann immer er sein Gesicht im angelaufenen Frisierspiegel seiner Mutter betrachtet hatte, war es ihm stets seltsam vorgekommen. Die Nase war am Ende ein wenig nach oben gebogen, die Lippen waren zu breit und voll, die
Haut war sommersprossig wie die eines Mädchens, und wenn er genau
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