Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
zwischen seine Augenbrauen schaute, wo er sich während der Kinderpocken heftig gekratzt hatte, erkannte er nicht nur eine, sondern gleich zwei kreisförmige Narben.
In Wahrheit begriff er nicht, warum die Schauspielerin ihn unter ihren langen Wimpern so ruhig und abschätzend betrachtete. Wenigstens gelang es ihm, ihren Blick eine Weile zu erwidern – zumindest waren es mehrere Sekunden –, bis sie sich als stärker erwies, Nicos Mut verschwand und er wegsah.
»Du wirst ja rot«, sagte eine Stimme nicht weit von ihm entfernt.
Es war Lena, die unmittelbar hinter ihm in der Menge stand und im Sonnenlicht blinzelte. Sie war hübsch, wenn nicht gerade ihr üblicher düsterer Blick ihre pathischen Gesichtszüge verfinsterte.
»Es ist heiß«, sagte er zu ihr, und ein Lächeln spielte um Lenas dünne Lippen. Mit einem Ton des Misstrauens in der Stimme fuhr er fort: »Ich hatte gar nicht bemerkt, dass du hinter mir stehst.«
»Ich bin dir gefolgt«, gab sie sachlich zu. »Ich wollte sichergehen, dass du … du weißt schon … dass alles mit dir in Ordnung ist.«
Das glaubte er ihr nicht. Bisher hatte sich Lena nicht sonderlich besorgt um das Wohlergehen anderer gezeigt. Er fragte sich, worauf sie hinauswollte.
»Es tut mir leid um deinen Hund«, sagte sie. »Wirklich. Aber wir müssen etwas tun, Nico. Wir müssen bald etwas zu essen bekommen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Erst morgen bekommen wir wieder Kisch zugeteilt. Wie dem auch sei, ich glaube, es ist für mich an der Zeit, nach Hause zu gehen.«
»Das willst du doch nicht wirklich, oder?«
»Eigentlich nicht.«
»Gut, denn ich habe eine viel bessere Idee, falls du sie hören willst. Eine Möglichkeit, ein bisschen Geld zu machen.«
Aha , dachte er. Jetzt kommt es .
Sie kam ihm so nahe, dass ihr Busen über seine Brust strich. Das schockierte ihn, denn er vermutete, dass es nicht zufällig geschehen war. Nico sah sie unter dem Rand seines Hutes hinweg an und fragte sich nicht zum ersten Mal, wie es wohl sein mochte, sie zu küssen.
»Warum habe ich das Gefühl, dass es mir ganz und gar nicht gefallen wird?«, fragte er mit heiserer Stimme.
Lena schob sich eine dunkle Locke aus dem Gesicht und sagte leise und mit großer Vertraulichkeit: »Weil es dir wirklich nicht gefallen wird. Aber wir haben keine Wahl, oder?«
Der Asago raspelte über die Dächer von Bar-Khos und brachte die feinen Sandkörner der sechshundert Laq weiter östlich gelegenen Alhazii-Wüste mit sich. Der Staub stach Nico in die Augen. Er blinzelte, zog eine Grimasse und wollte nichts als von hier oben verschwinden. In großen Höhen fühlte er sich nicht wohl.
Von seinem Aussichtsplatz auf dem Hausdach erkannte
er deutlich den Schild und den Berg der Wahrheit mit seinem Kopfschmuck aus Parkland, in dessen Mitte sich die hohe, vielfenstrige Masse des Kriegsministeriums erhob. Einige angenehme Augenblicke lang wurde die Brise schwächer und hinterließ den Eindruck, als hätte sich soeben eine Ofentür geschlossen. Aus der Ferne hörte Nico das regelmäßige Trommeln des Kanonenfeuers, gefolgt von einem kaum hörbaren Schrei.
»Das ist doch verrückt! Was ist, wenn wir erwischt werden?«
»Entweder wir machen das, oder ich gehe hinunter zum Hafen und hebe den Rock für jeden, der mich bezahlt«, fuhr Lena ihn an. »Ist dir das etwa lieber?«
»Du besitzt doch gar keinen Rock.«
»Vielleicht kann ich mir nach ein bisschen Handarbeit einen leisten. Und du könntest mein Zuhälter werden. Ich könnte mir vorstellen, dass dir das sogar gefällt – in der zweiten Reihe stehen und gar nichts tun.«
Er seufzte und blieb in Bewegung.
Nico hatte die Schuhe ausgezogen, wie Lena es vorgeschlagen hatte, denn so hatte er einen besseren Halt auf den Dachziegeln, die sich unter seinen bloßen Fußsohlen allerdings brennend heiß anfühlten. Er tanzte beinahe. »Meine Füße«, beschwerte er sich. »Sie brennen.«
»Willst du runterfallen und dir den Schädel aufschlagen? «
»Ich will weg von diesem Dach, Lena. Das ist alles, was ich will.«
Darauf gab sie keine Antwort.
Sie waren auf dem steilen Dach einer Taverne unterwegs,
drei Stockwerke über dem Erdboden. Die Taverne umfasste zwei Gebäude, ein kleineres, auf dem sie sich gerade befanden, und ein größeres, das sich vor ihnen befand und dessen bröckelige, weiß gekalkte Mauer sich zwei Stockwerke hoch erhob und hier und da von schmalen Fenstern durchbrochen war. Vor einigen waren die Läden geschlossen, andere waren offen
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