Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
kurz wurde ihm schwindlig und übel. Er fühlte sich schwach. Der Park um ihn herum war mit Flüchtlingen übervölkert; die Rasenflächen aus Gelbgras waren schon seit langem zertrampelt und zeigten nichts als bloße Erde, und die Bäume waren nur noch Stümpfe, die in trauriger Vereinzelung aus dem Boden hervorstachen. Er setzte einen Fuß vor den anderen und erlaubte sich, in einen gleichmäßigen Schritt zu fallen. Ohne Hast und Ziel bahnte er sich einen Weg zwischen hölzernen Schuppen und Flickenzelten aus alter Kleidung hindurch. Er kam an Gruppen schmutziger Kinder vorbei, die so dünn wie Reisig waren, und an Männern und Frauen mit stumpfen Blicken, die nur im Hier und Jetzt lebten. Dem Äußeren nach waren einige von ihnen Khosier, aber bei vielen handelte es sich um Flüchtlinge aus dem südlichen Kontinent: Pathier und Nathaleser oder erst kürzlich Eingetroffene aus dem Norden, von der Insel Lagos oder den Grünen Inseln. Für so viele Menschen waren sie seltsam still. Natürlich
bellten Hunde. Babys schrien nach der Milch ihrer Mütter. Aber darüber hinaus bewahrten sich die Menschen ihre Energie für wichtigere Dinge als das Sprechen auf.
Nicos Magen knurrte, als er die Kochdüfte roch. Seit zwei Wochen hatte er nichts anderes zu sich genommen als Bettlerbrühe – heißer Chee mit winzigen Stückchen Kisch darin. Aber davon konnte niemand lange überleben, und seine Hose hing schon wieder schlaff von dem Gürtel herunter, den er erst vor wenigen Tagen enger geschnallt hatte. Während er sich bewegte, spürte er, wie seine vorstehenden Rippen gegen die raue, schmutzige Kleidung rieben. Lena hatte Recht. Wenn er nicht bald etwas Richtiges aß, würde er sich genauso auf den Boden legen wie Kumpel und sterben.
Geh weiter , besänftigten ihn seine Gedanken.
Nico drängte sich durch das Haupttor des Sonnenschwalbenparks in das Gebiet dahinter. Dort gingen die Menschen auf den Straßen ohne Hast umher, unterhielten sich miteinander oder waren in ihren Gedanken versunken. Von Menschen gezogene Rikschas ratterten laut über das Straßenpflaster und beförderten Fahrgäste jeglicher Art. Aus dem Süden hörte Nico das Grollen von Gewehren, das weiter als ein Laq entfernt war.
Er machte sich auf zum Herzen der Stadt, in die Richtung dieses Gewehrfeuers, und seine losen Sohlen klapperten auf den Pflastersteinen. Den Kopf hielt er nach vorn gereckt. Einige Häuserblocks später umrundete er eine Ecke und betrat die Straße der Lügen. Hier herrschte ein überwältigender Lärm; es war, als würde man
aus einer tiefen Höhle in einen brausenden Strom treten. Es wurde mehr geschrien als gesprochen. Horden von Straßenartisten schlugen Glocken oder spielten Flöte um ein wenig Kleingeld; Windspiele hingen über der Straße und klimperten in der Brise. Es war, als wollte die Bevölkerung von Bar-Khos so viel Lärm wie möglich machen, damit jede Erinnerung an die Belagerung aus ihrem täglichen Leben verschwand.
Bäume säumten den größten Teil der Straße. In einem von ihnen saß auf einem kahlen Ast, der sich knorrig der Straße entgegenreckte, ein schwarzweißer Pica und beobachtete den Verkehr unter ihm. Aus reiner Gewohnheit schaute Nico zu dem Vogel auf und nickte.
Diese Handlung erinnerte ihn an einen anderen Morgen. An den Tag, an dem er für immer sein Zuhause verlassen hatte.
Auch damals hatte er einen Pica gesehen. Der Vogel hatte auf dem Dach der Hütte gesessen und auf ihn herunter gelacht, als er im frühen Glanz der Morgendämmerung losgegangen war, den Rucksack auf dem Rücken und den Kopf voller naiver Träume. Er hatte diesen besonderen Vogel genauso wenig gemocht wie jeden sinnlosen Aberglauben, aber Nico hatte ihm trotzdem zugenickt, wie auch seine Mutter es immer getan hatte, und den Pfad beschritten, der ihn hinunter zur Küstenstraße und von dort aus auf einem vierstündigen Marsch zur Stadt bringen würde. Besonders an jenem Tag hatte er das Schicksal nicht herausfordern wollen.
An jenem Morgen hatte er feststellen müssen, dass das Verlassen seiner Heimstätte keineswegs so schön
war, wie er es sich vorgestellt hatte. Mit jedem Schritt waren die Schuldgefühle in seiner Brust stärker geworden. Seine Mutter würde außer sich sein, wenn sie feststellte, dass er sich auf diese Weise weggestohlen hatte. Und Kumpel … Kumpel würde sich auf seine eigene, hündische Weise nach ihm verzehren.
Er hatte den Hund zärtlich gestreichelt, als dieser auf dem alten, zerfetzten Laken unter
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