Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
sehnte sich Nico danach, in der Menge unterzugehen, und ließ sich von ihr davontragen.
Überall leuchteten sonnengesättigte Farben im Gewühl. Nico wischte sich die Fliegen aus dem Gesicht, atmete den feuchten Gestank von Schweiß sowie den Duft durchdringender Gewürze, Tierexkremente, Parfüms und Früchte ein. Sein Magen stand nun in Flammen. Mit jedem Schritt fraß er sich selbst und den Rest des ausgemergelten Körpers weiter auf. Nico fühlte sich unwirklich, und ihm war schwindlig. Seine Augen waren nur an den Speisen um ihn herum und an den bereits halbleeren Buden interessiert. Der Gedanke daran, einen Apfel oder einen Spieß mit gebratenen Krabben zu stehlen, erfüllte ihn ganz und gar. Er kämpfte dagegen an, denn er wusste, dass er nicht mehr die Kraft zu einer Flucht hatte, falls er gejagt werden sollte.
Weil er sich von diesen stärker werdenden Versuchungen ablenken wollte, blieb er eine Weile im Schutz einer Bude stehen und hörte zu, wie einige Straßenhändler in begeisterten Gesängen ihre Waren über den Köpfen der Vorbeigehenden anpriesen. Ihre Melodien waren angenehm zu hören, auch wenn sie von nichts Wichtigerem sangen als von ihren Waren und den heutigen Preisen. Aus einer Laune heraus bat Nico mehrere
von ihnen um etwas zu essen; im Gegenzug wollte er gern für sie arbeiten. Sie schüttelten die Köpfe: keine Zeit für ihn. Sie hatten selbst kaum genug zum Überleben, sagten ihre Mienen. Eine alte Frau, die in ihrer Bude teure Spitzen neben halbvergammelten Kartoffeln verkaufte, kicherte, als hätte Nico einen Scherz gemacht. Aber sie verstummte, als sie seinen kühlen Blick und seine ausgezehrte Erscheinung bemerkte.
»Frag in ein paar Tagen nochmal«, sagte sie zu ihm. »Ich kann dir nichts versprechen, aber vielleicht habe ich dann die eine oder andere Arbeit für dich. Komm dann wieder, ja?«
Er dankte ihr, auch wenn es ihm jetzt nicht half. In ein paar Tagen war er vielleicht schon verhungert.
Möglicherweise war es Zeit, wieder nach Hause zu gehen, dachte Nico übellaunig. Was hatte er in der Stadt noch verloren? Die Rote Garde wollte ihn nicht haben; er konnte sich nicht mehr erinnern, wie oft er versucht hatte, sich zu verpflichten, so wie sein Vater vor ihm, aber er sah genauso jung aus, wie er war, und daran konnte er nichts ändern. Und hier in Bar-Khos gab es kaum Gelegenheitsarbeiten. Während des letzten Jahres war es ihm manchmal gelungen, hier und da ein wenig zu verdienen, hauptsächlich am Kai, wo er schwere Lasten für wenig Geld geschleppt hatte. Es gab einfach zu viele Menschen für zu wenige Aufgaben. Auch wegen der schlimmer werdenden Nahrungsmittelknappheit aufgrund der Belagerung wurde es immer schwerer, hier zu überleben.
Der lockere Zusammenschluss der Inseln, der als Merica
bekannt war, war zwar noch in Freiheit, wurde aber durch die mhannischen Seeblockaden ebenso belagert wie Bar-Khos durch die Vierte Reichsarmee. Es gab keinen sicheren Weg zu den Inseln und auch keinen von ihnen fort. Da außer dem Wüstenkalifat im Osten jedes einzige Land des Midèrē̄s besiegt war, wurden alle ausländischen Gewässer von kaiserlichen Flotten beherrscht. Nur eine einzige Handelsroute nach Merica war noch offen, und diese war der Zanzahar-Weg, eine höchst gefährliche Route für jede Karawane, um die jeden Tag gekämpft wurde und auf der andauernd Plünderungen durch den Feind stattfanden.
Allmählich erstickten diese Blockaden das Leben in den Freien Häfen, und daher lebten viele Menschen inzwischen nur noch von dem kostenlosen Kisch, das der Stadtrat austeilen ließ, sowie von dem, was auf den Dächern oder in kleinen Gemüsebeeten wuchs, oder sie nahmen Zuflucht zu Verbrechen und Prostitution. Manche hingegen verkleideten sich als Mönche des Dao, denen es als Einzigen noch gesetzlich erlaubt war, auf den Straßen zu betteln. Oder sie verhungerten – wie Nico.
Zu Hause hätte er wenigstens einen vollen Magen und ein Dach über dem Kopf. So wie er seine Mutter kannte, hatte sie Loos vermutlich inzwischen aus der Hütte geworfen, nachdem sie ihn richtig kennengelernt hatte. Wenn nicht, hatte Loos sie bestimmt inzwischen verlassen und alles Wertvolle mitgenommen. Wie dem auch sei, nun würde ein neuer Mann den Platz seines abwesenden Vaters eingenommen haben.
Er hasste die Vorstellung, zu seiner Mutter zurückzukehren
und sein Scheitern einzugestehen. Damit würde er beweisen, dass er nicht auf eigenen Beinen stehen konnte.
Aber du bist gescheitert. Du
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