Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
Plötzlich waren all die Geschichten über die Heldentaten des Generals mehr als bloße Wörter auf einer Buchseite gewesen. Dieser Mann, dessen Hand so lebendig in seiner eigenen gelegen hatte, hatte den Tod von Tausenden Menschen befohlen – nicht nur von besiegten Soldaten, sondern auch von Frauen und Kindern, von alten Männern und Neugeborenen. In diesem Augenblick hatte sich Kirkus durch die Berührung abgestoßen gefühlt, als ob ihn der bloße Handschlag mit etwas Schrecklichem und Verdorbenem infiziert hätte. Danach hatte er sogar geglaubt, Blut an seinen Händen zu riechen. Wie sehr er sie auch waschen mochte, immer roch er den schwachen metallischen Geruch, wenn er nachts allein mit seinen Gedanken im Bett lag.
Dieses Gefühl war erst nach seinem vierzehnten Geburtstag vergangen, als es ihm erlaubt worden war, das Bett mit seinen Tempelfreunden zu teilen: mit Brice und Asam, aber nach einer Weile hauptsächlich mit Lara. Angesichts solch berauschender neuer Erfahrungen vergaß er den eingebildeten Geruch von Blut an seinen Händen. Während derselben Zeit hatte er verstärkt Unterweisungen in den Ritualen von Mhann erhalten. Er hatte seine erste Reinigung durchgemacht. Seine Mutter hatte ihm
erlaubt, die Intrigen und Verantwortung, die ihre neue Position nach der Thronbesteigung mit sich brachten, immer eingehender zu beobachten. Mit der Zeit verlor Kirkus seine Empfindsamkeit. Er lernte, die Notwendigkeit einer rücksichtslosen Tat und die grundlegende Selbstsüchtigkeit des Mitleids anzuerkennen. Und wenn ihn bei seltenen Gelegenheiten wieder einmal ein Gefühl der Verderbtheit überkam – wenn er zum Beispiel eine schmierige Türklinke oder ein Weinglas anfasste, das mehrere Freunde miteinander geteilt hatten, oder wenn er in ein Bad stieg, dessen Wasser zuvor von anderen benutzt worden war –, zog er sich immer erst in die Abgeschiedenheit seiner Gemächer zurück, bevor er dem Drang nachgab, seine Haut so stark zu scheuern, bis sie blutete. Schließlich war er ein geweihter Priester von Mhann und der Erste in der Thronfolge. Er durfte es sich nicht erlauben, schwach zu erscheinen.
»Kommst du?«, fragte seine Großmutter, als sie von der Sänfte kletterte.
Kirkus riss den Blick von dem gewaltigen Stachel und vor allem von den rostbraunen Flecken daran. Er starrte Kira einige Herzschläge lang an, bevor ihre Worte in ihn einsanken.
Er schüttelte den Kopf und sah zu, wie die alte Priesterin über den Markt schlenderte, begleitet nur von ihren Leibsklaven, und ausgiebig von den Süßigkeiten und örtlichen Weinen kostete. Sie lehnte eine bewaffnete Eskorte ab und vertraute ihr Leben ganz der einschüchternden Macht ihrer weißen Robe an, die überall die Menge auseinandertrieb.
Für eine Weile blieb Kirkus einfach sitzen und genoss die Möglichkeiten, die sich ihm boten. Seine Fantasie spielte mit denjenigen Passanten, die seine Aufmerksamkeit erregten. Als er endlich wusste, wen er haben wollte, erhob er sich.
Diesmal zeigte er unauffälliger auf die beiden, die es ihm angetan hatten. Es waren zwei Schwestern mit blonden Haarmähnen, die bis fast auf den Boden reichten, dazu ein fetter Metzger, der sein Hackbeil wie ein Kriegsveteran gebrauchte und eine gewisse Gegenwehr bieten würde, ferner ein junger Mann, der ihn an seinen Jugendfreund Asam erinnerte, und schließlich ein altes Fischweib mit einem Körper, der noch immer dünn, stark und interessant war.
Die Akolyten huschten durch die Menge und packten diejenigen, auf die Kirkus gezeigt hatte. Rufe ertönten, gingen aber sofort in dem allgemeinen Lärm des Marktes unter. Kirkus beobachtete den einsetzenden Aufruhr und folgte seinen Strömungen und Wirbeln, die sich über den ganzen Platz ausdehnten. Er war fasziniert von alldem, als sich die entsetzten Freunde und Verwandten an diejenigen klammerten, die ihnen weggenommen wurden und inmitten der Zuschauer nach Hilfe schrien. Einer nach dem anderen wurde ergriffen, und die Alarmrufe wurden lauter und übertönten schließlich sogar den Lärm des geschäftigen Marktplatzes.
In diesem Augenblick wusste Kirkus, dass es ihm wegen solcher Tage bis zum Ende seines Lebens nie langweilig sein würde.
Als Kira mit einem Korb voller ausgewählter Köstlichkeiten
zurückkehrte, hatte sie hinter sich einen Markplatz voller verlassener Buden und noch immer sich drehender Körbe zurückgelassen, deren Eigentümer schreiend geflohen waren und ihre Warnungen in die angrenzenden Straßen getragen
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