Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
alte Schachtel war schließlich seine Großmutter.
Der Toin war einer der großen Flüsse im Midères. Er entsprang im Hochland des mächtigen Aradèrē̄s-Gebirges und war zunächst lediglich ein rasch dahinfließender Bach, in den jedoch bald etliche Nebelflüsse mündeten, bevor er in den Vogelsee stürzte und sich von dort als immer mächtigerer Strom weiterwälzte. An manchen Stellen war er mehr als ein Laq breit. Der Fluss war die wirtschaftliche Lebensader von Nathal, und alle größeren Städte des Landes lagen an seinem Verlauf.
Die Nathaleser waren eine stolze Nation. Nie waren sie von ihren Nachbarn erobert worden – weder von Serat im Westen noch von Tilana und Pathia im Osten. Seit tausend Jahren blühte ihre Kultur ununterbrochen und hatte große Leistungen in Philosophie, Wissenschaft und Kunst hervorgebracht. Der Daoismus war zu ihnen gedrungen, und sie hatten ihn genauso vereinnahmt
wie alle neuen Ideen und Gedanken und ihn den vielen anderen Glaubensrichtungen hinzugefügt, die in ihrem Land gediehen und ausgeübt wurden.
Aber inzwischen war es kein so stolzes Volk mehr. Vor fünfzehn Jahren war ihre geliebte Unabhängigkeit unter den nietenbeschlagenen Stiefeln des Heiligen Reiches von Mhann zertrampelt worden. Eine Weile hatten sie einen Guerillakrieg gegen die Besatzer geführt, doch auch diese kleinen Feuer des Widerstands waren schließlich ausgelöscht worden. Die Kreuzigung ganzer Dörfer als Vergeltung für die Rebellionen hatte sogar den stolzesten Nathaleser unterwürfig gemacht. Nun war Nathal nur noch eine weitere Provinz im Heiligen Reich. Wie alle anderen unterlegenen Nationen wurde es von einer Hierarchie aus Priestern von Mhann verwaltet, die überlieferten Glaubensrichtungen waren verboten und alle Weltanschauungen, die nicht im Einklang mit dem göttlichen Fleisch standen, unbarmherzig ausgemerzt worden.
Als die verschwenderische Reichsbarke schließlich in den Hafen von Skara-Brae einlief, sah die Wasserfront der Stadt genau so aus wie jede andere Siedlung innerhalb des Reiches. Übergroße Aushängeschilder schmückten die Fassaden alter und neuer Häuser und bewarben Güter und Dienstleistungen für all jene, welche die Handelssprache lesen konnten, während vor den Lagerhäusern Meuten von Arbeitslosen warteten und auf eine Beschäftigung für den heutigen Tag hofften, und fette Patrizier unter dem Schutz ihrer Leibwächter das Be-und Entladen ihrer kostbaren Frachten überwachten.
Prostituierte und Bettler lungerten in den schattigen Öffnungen der Gassen herum; viele von ihnen waren krank, weil sie ihre tägliche Dosis Schlack nicht bekommen hatten. Überall waren kaiserliche Hilfskräfte zu sehen, die in der Hauptsache aus der örtlichen Bevölkerung stammten und die öffentliche Ordnung aufrechterhielten. Sie trugen weiße Lederrüstungen und hatten die harten, misstrauischen Mienen derjenigen, die von den eigenen Mitbrüdern verachtet wurden.
Wie laut die Nathaleser auch nach Unabhängigkeit rufen mochten, so war doch die Besatzung durch das Reich in einer Hinsicht für sie gut gewesen. Vor fünfzehn Jahren war der Warenaustausch in diesem Hafen genauso träge gewesen wie der Fluss selbst. Doch jetzt florierten die Geschäfte.
Als die Barke vertäut war, senkte sich Schweigen über die Kaianlagen. Sechzig tropfende Ruder fuhren gleichzeitig in die Höhe. Eine Abordnung von Akolyten marschierte als Erste von Deck, bewaffnet mit Speeren und Langschwertern und gelegentlich auch mit einem Gewehr. Sie trugen schwere Kettenhemden, die ihnen bis auf die Knie hingen und in dieser Hitze sehr unangenehm zu tragen waren, obwohl die männlichen und weiblichen Kriegerpriester keine Anzeichen von Unbehagen zeigten. Ihre Gesichter wurden von weißen, ausdruckslosen Masken bedeckt, die lediglich vereinzelte Löcher zum Atmen und Sehen aufwiesen, und über den Kettenhemden trugen sie die eindrucksvollen dünnen weißen Roben des Ordens, deren Kapuzen ihre Köpfe bedeckten und die mit verschlungenen Mustern aus
weißen Seidenfäden bestickt waren, in denen sich das Sonnenlicht auf zarte, immer neue Weise widerspiegelte. Aus ihren Reihen löste sich sofort ein Läufer und rannte mit Nachrichten für den Hohepriester und Gouverneur in die Stadt. Dieser würde heute Abend Gäste zum Essen haben, ob es ihm gefiel oder nicht.
Die Akolyten drängten sich mit der Zuversicht von Fanatikern, die nur zu einem einzigen Zweck geboren und erzogen waren, durch die Menschenmenge, drückten die
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