Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
es nicht sahen. Aber Rianna begriff nicht, welche Risiken es mit sich brachte, die Tochter des städtischen Hohepriesters zu sein. In gewisser Weise hoffte er, sie würde es nie verstehen.
Als Rianna sein Lächeln erwiderte, bedauerte er die harschen Worte, die er zu ihr gesagt hatte. Er wusste, dass sie ihm bereits verziehen hatte. Sie verzieh ihm immer.
Er war froh, dass sein priesterlicher Besuch das Gespräch heute Abend wenigstens nicht auf das Thema der Glaubenslehre und des Rituals gebracht hatte. Immer hatte er versucht, seine Tochter vor dem dunklen Herzen dieser Religion und ihren Geheimnissen und geheimen Ritualen abzuschirmen. Er liebte Riannas Unschuld; sie war das einzige helle Licht in seinem ansonsten banalen Leben.
»Seht ihn Euch doch nur an!« Die alte Priesterin deutete mit dem Finger auf ihren Enkel. Sie schien es nicht ganz ernst zu meinen, doch Belias zuckte zusammen. »Vollgefressen und betrunken vom Wein, und er beschwert sich immer noch, ihm sei langweilig. Könnt Ihr glauben, dass er in den letzten zwölf Monden ein ganzes Reich an sich vorbeiziehen sah, was nur wenigen Privilegierten gegeben ist? Nein, er jammert bloß nach mehr, wie ein verdorbenes Kind, und genau das ist er.«
Kirkus rülpste laut.
Es gibt keinen Herrn außer dir selbst , rezitierte Belias stumm, als ob er plötzlich ein echter Anhänger Mhanns
wäre, während er verstohlen den betrunkenen jungen Priester beobachtete, der sich auf seinem Stuhl ausgestreckt hatte. War das wirklich das nächste Oberhaupt des Reiches und eines Glaubens, der zwei Kontinente umspannte und mindestens vierzig Rassen einte?
Im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute, die bis zur Unabhängigkeit oder zum Tod kämpfen würden, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten, war Belias seiner eigenen Meinung nach ein Realist. Das war ein Wesenszug, den er höher als jeden anderen einschätzte und den er bei den anderen Nathalesen schmerzlich vermisste – außer vielleicht in der Kaufmannsklasse, die eine gute Gelegenheit sofort zu erkennen wusste.
Als die kaiserliche Armee vor vielen Jahren an der nathalesischen Grenze erschien und sie sogleich überrannt hatte, hatte er die kommende kaiserliche Besatzung als das erkannt, was sie tatsächlich war. Unausweichlich. Und daher hatte Belias nach der letzten Niederlage von Königin Hano und ihren Streitkräften hier in dieser unglückseligen Stadt, aus der er glücklicherweise hatte entkommen können, indem er rechtzeitig mit seiner Frau und seinem Kind auf den Familienbesitz geflohen war, die Seiten gewechselt, denn schließlich war er ein ehrgeiziger junger Politiker gewesen. Er war ausgerechnet zu einem Priester Mhanns geworden, denn darin hatte er die Möglichkeit erkannt, innerhalb der neuen Ordnung politisch voranzukommen. Es war ganz einfach gewesen. Er hatte lediglich drei Jahre lang in dem neu eröffneten Tempelkomplex in Serat studieren müssen, wo Männer aus allen möglichen
Provinzen zusammengekommen waren, um die Robe des Ordens zu nehmen, und danach hatte er tapfer die Erwählung hinter sich gebracht, jenes rätselhafte Ritual, das auch seine endgültige Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft von Mhann bedeutet hatte.
Dieser Wechsel zur anderen Seite hatte wunderbar funktioniert – und daran sowie an den Erfolg, der aus dieser Entscheidung erwachsen war, erinnerte sich Belias gern in jenen dunklen Nächten, wenn ihn sein Gewissen plagte. Schließlich war er jetzt der Herrscher über seine eigene Stadt.
Aber trotz all dieses Pragmatismus – oder vielleicht gerade deshalb – verstand Belias seine weniger raffinierten Landsleute nur allzu gut. Ein Ereignis wie das des heutigen Tages, eine öffentliche Entführung von Einwohnern seiner Stadt hätte durchaus der Auslöser für eine Revolte sein können, obwohl dies zu einer schrecklichen Vergeltung geführt hätte, wie allen Beteiligten klar gewesen wäre. Und wenn es zu einem solchen Aufstand gekommen wäre, dann wäre der Hohepriester Belias zweifellos ein toter Mann gewesen. Er wäre als verräterische Galionsfigur angesehen und als Erster hingerichtet worden. Selbst wenn er diesem Schicksal irgendwie hätte entgehen können, hätte ihn die Priesterschaft getötet, weil er einen solchen Aufstand nicht unterdrückt hatte. Man hätte ihn als schwach bezeichnet, als keinen wahren Priester Mhanns, und er wäre auf die vom Orden bevorzugte Weise seiner Robe entkleidet worden – man hätte ihn auf einen brennenden Scheiterhaufen gestellt.
Und
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