Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
Rianna. Belias wandte sich oft an seine Tochter, wenn er ein wenig Unterstützung brauchte. Sie flüsterte gerade ihrem Verlobten etwas zu, der zehn Jahre älter war als sie selbst. Er war ein Unternehmer der Patrizierklasse, der sein Mahl schon vor langer Zeit beendet hatte und die drei am Tisch versammelten Priester mit kaum verhülltem Misstrauen beobachtete.
Sicherlich, sie waren eine fröhliche Gruppe, als sie schweigend in dem zugigen Saal speisten und dem Regen lauschten, der gegen die Bleiglasfenster prasselte, sowie den Essgeräuschen, dem Klappern der Bestecke gegen die Teller, der gelegentlichen höflichen Bemerkung und den Rufen der Sklaven, die draußen im Regen auf dem Kiesweg hockten.
Belias war schon vor einiger Zeit von seinem Kanzler über die Ereignisse auf den Straßen von Skara-Brae informiert worden. Das war einer der Gründe, warum er so schrecklich schwitzte und Interesse an den kalten Überresten seines Mahls vortäuschen musste. Nach allem, was er gehört hatte, befanden sich die Einwohner in Aufruhr. Sie wollten ihre Liebsten zurückhaben, und sie dürsteten nach Blut. Diese plötzliche öffentliche Zurschaustellung von Wut machte ihm große Sorgen, denn
Belias verstand die Nathaleser nur allzu gut und wusste, wie schnell unter ihnen eine offene Revolte ausbrechen konnte. Schließlich war er selbst ein Nathaleser.
»Ist alles in Ordnung mit Euch, Hohepriester?«, fragte Kira freundlich. Allerdings vermutete er, dass die Freundlichkeit dieser Frau eher dem Spiel der Katze mit einer Maus gleichkam. Belias versuchte sich zusammenzureißen. Nein, es war mit ihm nicht alles in Ordnung. Diese alte Hexe war die Mutter der Heiligen Matriarchin, und der Bengel, der sich auf seinem Stuhl am Kopfende des Tisches lümmelte, war nichts weniger als der einzige Sohn der Matriarchin und damit der Thronfolger. Das war genug, um einen einfachen Priester aus der Provinz zu verunsichern.
»Es geht mir gut«, hörte er sich zu der alten Priesterin sagen. »Ich habe mich nur gerade gefragt … wisst Ihr … warum Ihr heute so viele Sklaven nehmen musstet.«
Die alte Frau nippte an ihrem Weinglas und schaute ihn über den Rand hinweg an. Dann machte sie mit den Lippen einen schnalzenden Laut. »Mein Einfaltspinsel von einem Enkel da hinten wird bald seine Einweihung feiern«, erklärte sie mit einer Stimme, die wie eine alte Treppe knarrte. »Wir holen uns alles, was wir für das Ritual benötigen, indem wir hier und da am Fluss anhalten und jede Stadt besuchen, die uns interessant erscheint. Im letzten Jahr habe ich ihn auf die Große Reise mitgenommen. Ich bin sicher, dass Ihr sie ebenfalls unternommen habt, denn schließlich seid Ihr ein Hohepriester. « Kurz hielt sie den Kristallpokal hoch, als ob sie nach Unvollkommenheiten in ihm suchte, und Belias
bemerkte, wie sie ihn durch das Gefäß hindurch anschaute.
Belias nickte und lächelte wie ein Schwachkopf. Er wollte ihr nicht antworten. Nein, er hatte sich nie auf die Große Reise begeben, aber das würde er ihr nicht verraten. Diese Reise war lang und scheußlich teuer, wenn man sie mit einem gewissen Komfort hinter sich bringen wollte, und auf dem Weg mussten alle Arten von Orgien und anderen Festen gefeiert werden, auf denen Tabus zu brechen waren, was seinem schwachen Herz sicherlich den Garaus gemacht hätte. Deswegen hatte sich Belias nie dazu bringen können, diese Reise zu unternehmen.
»Ich verstehe«, sagte Kira, worauf Belias das Lächeln von seinem Gesicht abfallen ließ. Er wusste nicht, was sie sah, aber nun schlug sein Herz ein wenig schneller. Er zwang erneut ein süßliches Lächeln auf seine Lippen – eine Zurschaustellung äußerlicher Gelassenheit, die er jedoch verdarb, als er zu schlucken versuchte und beinahe an einem kaum zerkauten Bröckchen erstickt wäre.
Seine Tochter reichte ihm einen Pokal mit Wasser und runzelte die Stirn in einem Ausdruck der Besorgnis. Belias trank ihn in einem Zug leer und lächelte Rianna dankbar an. Heute Abend trug sie ein Kleid aus weicher grüner Baumwolle, das hervorragend zu ihrem roten Haar passte und so hoch geschlossen war, dass es das Siegel verbarg, das sie auf sein väterliches Beharren hin für gewöhnlich um den Hals trug. Vorhin hatte Belias sie unter vier Augen gescholten, weil sie das Siegel versteckte, wie sie es in Gesellschaft immer tat. Er hatte ihr
zu erklären versucht, dass es auf diese Weise seinen Sinn nicht erfüllte. Es konnte nicht abschreckend wirken, wenn die Leute
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