Farlander - Der Pfad des Kriegers - Buchanan, C: Farlander - Der Pfad des Kriegers - Farlander
im Leben genießen wollten, solange es ihnen noch gutging. Dalas, der Erste Maat des Kapitäns – ein großer Coricianer mit Korkenzieherlocken, der ein offenes Lederwams und um den Hals ein gebogenes Jagdhorn trug – war anscheinend seit seiner Geburt stumm. Selbst der Kerido des Kapitäns, der sich zunächst fürchterlich über die beiden Gäste bei Tisch aufgeregt hatte, hockte nun still vor dem Teller seines Herrn, machte mit der Schnauze leise klickende Geräusche und sabberte in Vorfreude, während der Kapitän aß. Das Tier erinnerte Nico an Kumpel und an die heimische Hütte, in der Nico das lustlos gekochte Essen seiner Mutter verspeist und heimlich Stückchen unter den Tisch geworfen hatte. Nie zuvor hatte er einen Kerido gesehen, aber er hatte durch die Straßenaufführungen von Die Geschichten des Fisches von ihnen erfahren, in denen oft von Kaufleuten berichtet wurde, die sich in die Waldoase in der flachen Wüste gewagt und dort Wahnsinn und Tod gefunden hatten. In den Geschichten wurde der Kerido trotz seiner geringen Größe stets als gefährliche und bösartige Kreatur geschildert. Nun, da einer vor Nico saß, konnte er sich vorstellen, warum das so war. Die Farben auf der harten Haut erweckten Bilder von üppiger, in Schatten gekleideter Vegetation, verstohlener Bewegung und dem
plötzlichen Sprung eines Raubtiers. Er hatte nicht gewusst, dass man sie als Haustier zähmen konnte.
Aus einem verschlossenen, am Boden festgeschraubten Schrank war roter Wein geholt worden, und Asch, Dalas sowie der Kapitän waren inzwischen bei der zweiten Flasche angekommen, während Nico noch immer an seinem ersten Glas nippte. Er vermutete, dass die anderen schon ein wenig betrunken waren.
»Es ist gut, dass du wieder auf den Beinen bist«, bemerkte Kapitän Graber gelassen, während er sein Taschentuch als Serviette benutzte und sich damit die blassen Lippen betupfte. Er bedachte Nico mit einem kurzen Blick aus seinem weißen blinden Auge, als ob er damit deutlich sehen könnte. Selbst in den sanften Schattierungen des Sonnenuntergangs, die die Kajüte erfüllten, wirkte seine Haut bleich und erinnerte an das feuchte Grau des Regens.
Asch grunzte bei dieser Bemerkung, und Nico warf dem alten Mann einen Blick zu, doch der Farlander weigerte sich, ihn zu erwidern.
»Es ist nicht ganz leicht, sich an den weiten Himmel zu gewöhnen«, fuhr Graber in seinem weichen, etwas undeutlichen Akzent fort, der auf eine kostspielige Erziehung hindeutete. »Die meisten werden dir bestätigen, dass es schlimmer als auf dem Meer ist. Daher brauchst du dich wegen deiner Reaktion nicht zu schämen. Du kannst mir glauben, dass es mir kaum bessergeht, wenn ich wieder an Land bin. Ich brauche mindestens einen ganzen Tag im Bett mit einer galoppierenden Hure, bevor ich mich wieder wohlfühle.« Er schenkte
Nico ein gutmütiges Lächeln und hob eine Braue, bevor er den Blick abwandte, als ob er sich schämte, zu viel gesagt zu haben.
Nico zwang sich, sein Lächeln zu erwidern, denn es war schwer, diesen Mann nicht zu mögen. Er spürte an diesem Abend, dass es für Graber wichtig war, von denjenigen gemocht zu werden, mit denen er Umgang pflegte. Das war überraschend, denn früher am Tag hatte er ein Mitglied der Mannschaft angebrüllt, weil dieses die Takelage verunreinigt hatte, und seine Worte waren unzusammenhängend und unter so viel Speichel hervorgekommen, dass Nico sich gefragt hatte, ob der Kapitän möglicherweise geistig gestört war. Schließlich war Dalas herbeigekommen und hatte Graber in seine Kajüte gezogen – außer Sichtweite der Mannschaft, nicht aber außer Hörweite.
Nun, beim Abendessen, schien der Kapitän ganz ruhig zu sein. Sein Lächeln wirkte ungezwungen, und im Blick seines gesunden, rot geränderten Auges lag so etwas wie eine Entschuldigung. Welche Dämonen ihn auch plagen mochten, sie wurden nun durch seine sanftere Natur zurückgehalten, die auch seine wahre Natur zu sein schien, so dass Nico sich in seiner Gegenwart ruhig fühlte und kaum mehr daran dachte, wie der Kapitän zuvor die Kontrolle über sich verloren hatte.
Dalas beobachtete Nico über den Tisch hinweg mit kühlem Blick, während er sich das Essen mit einer Gabel in den Mund schaufelte. Der große Coricianer hob die freie Hand und machte einige Zeichen in Gebärdensprache, die so schnell aufeinander folgten, dass sie kaum
unterscheidbar waren: eine geballte Faust, die von einer Seite zur anderen sprang, eine winkende Bewegung, ein
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