Farmer, Philip Jose - Flusswelt 01
lange durch.
Als Burton mit Robert Bruce, einem 1945 in Kensington geborenen Engländer sprach, stellte sich heraus, daß Göring und Tullius sich erst seit weniger als einem Monat an der Macht befanden. Bisher hatten sie ihre Nachbarn in Frieden gelassen. Es gab allerdings Pläne, den Machtbereich auszuweiten und die angrenzenden Territorien zu erobern. Besonderen Wert schienen sie auf das Gebiet der Onondaga-Indianer zu legen, die auf der anderen Seite des Flusses lebten. Und bis jetzt war noch keinem Sklaven, der die anderen Regionen von Görings Absichten hätte unterrichten können, die Flucht gelungen.
»Aber die Leute in den anderen Gebieten können doch selber sehen, daß diese Palisaden von Sklaven aufgebaut wurden«, sagte Burton.
Bruce grinste trocken und erwiderte: »Göring hat verbreiten lassen, daß seine Sklaven ausschließlich Juden sind und daß sie die einzigen sind, die er zu versklaven gedenkt. Warum sollten sich die anderen Gruppen also Sorgen machen? Aber Sie können selbst sehen, daß seine Worte nicht der Wahrheit entsprechen. Die Hälfte seiner Sklaven sind Nichtjuden.«
Als der Morgen graute, brachte man Burton, Frigate, Ruach, de Greystock und Monat aus der Umzäunung heraus und führte sie im Gänsemarsch zu einem Gralstein. Hier stießen sie auf mehr als zweihundert bereits versammelte Sklaven, die von etwa siebzig Göringisten bewacht wurden. Man zwang sie, die leeren Grale in die dafür vorgesehenen Vertiefungen zu stellen, und hieß sie abwarten. Die blauen Flammen taten aufbrüllend ihre Arbeit. Die Sklaven nahmen die Grale wieder an sich, öffneten sie und händigten dem Wachpersonal Tabak, Alkohol und die Hälfte der Nahrung aus.
Einige der Wunden, die Frigates Schultern und Kopf zierten, sahen aus, als sei es erforderlich, sie zu nähen. Wenigstens war inzwischen die Blutung zum Stillstand gekommen. Er war noch immer blaß und klagte über starke Rücken- und Leberschmerzen.
»Jetzt sind wir also auch Sklaven«, sagte er zu Burton. »Du hast doch früher mal einiges Positive an der Sklaverei gesehen, wenn ich mich recht erinnere, Dick. Haben sich deine Ansichten inzwischen geändert?«
»Dabei ging es um die orientalische Form der Sklaverei«, erwiderte Burton.
»In der hiesigen Gesellschaft besteht für einen Sklaven aber wohl nicht die geringste Chance, irgendwann die Freiheit zu gewinnen. Es gibt hier auch keine Gefühle zwischen Sklaven und Eigentümer – ausgenommen Haß. Im Orient war die Situation ganz anders. Aber natürlich hatte auch die orientalische Sklaverei – wie jede menschliche Institution – ihre Nachteile.«
»Du bist ein sturer Bursche«, sagte Frigate. »Hast du schon bemerkt, daß mindestens die Hälfte der Sklaven Juden sind? Es handelt sich, nehme ich an, in der Hauptsache um Israelis aus dem späten zwanzigsten Jahrhundert. Ein Mädchen hat mir erzählt, Göring habe die Gralsklaverei damit begonnen, daß er in den Leuten, die dieses Gebiet bevölkerten, antisemitische Gefühle erweckte. Natürlich müssen diese Gefühle schon vor seinem Auftauchen existiert haben, sonst hätte er sie nicht zielgerichtet einsetzen können.
Nachdem er mit Tullius’ Hilfe an die Macht gekommen war, hat er eine ganze Reihe seiner ehemaligen Parteigänger zu den Juden in die Sklaverei geworfen.«
Er machte eine Pause und fuhr fort: »Das Schlimmste an allem ist aber, daß dieser Göring – relativ gesehen – keiner der üblichen Antisemiten ist. Er soll sich einst sogar Himmler gegenüber eingesetzt haben, Juden zu retten.
Aber in gewisser Weise ist er noch schlimmer als einer der gewöhnlichen Judenhasser: Er ist ein Opportunist. Der Antisemitismus war in Deutschland zeitweilig eine Welle der öffentlichen Meinung; wer es zu etwas bringen wollte, hatte keine andere Wahl, als sie mitzumachen. Also führte Göring sich damals genauso auf wie heute hier, ganz im Gegensatz zu Leuten wie Goebbels oder Frank, die wirklich glaubten, was sie sagten. Sie folgten pervertierten Prinzipien irgendwelcher obskuren Rassentheorien. Im Gegensatz zu ihnen war dem fetten Göring völlig egal, was mit den Juden geschah. Er tat nichts anderes, als sie zu benutzen, um seine Schäfchen ins trockene zu bringen.«
»Das ist ja alles plausibel«, sagte Burton. »Aber ich frage mich, was das mit mir zu tun hat? Oh, ich verstehe! Du hast vor, mich zu schulen.«
»Dick, ich verehre dich, wie ich nur wenige andere Menschen in meinem Leben verehrt habe. Ich habe dich so gern, wie ein
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