Farmer, Philip Jose - Flusswelt 03
lediglich erziehen, dir Wissen vermitteln, das du aufgrund deines frühen Todes nicht erlernen konntest.«
»Ja, aber du bist zu ungeduldig. Du vergißt ständig, daß ich nicht der gleichen Herkunft bin wie du. Manche Dinge, die für dich Kleinigkeiten sind, stellen für mich unüberwindliche Hindernisse dar. Mir stehen einfach nicht die gleichen Quellen zur Verfügung.«
Er machte eine Pause und sagte dann: »Du bist eine Wissens-Chauvinistin. Kurz gesagt… Wie nannte man die? – Du bist ein Snob!«
Das hatte Jill noch mehr schockiert. Obwohl sie eilige Anstrengungen unternahm, diesen Vorwurf zu widerlegen, machte ihre Reaktion sofort klar, daß er möglicherweise doch recht hatte. Aber zu diesem Zeitpunkt war es bereits zu spät, irgendwelche Reparaturen an ihrer Beziehung vorzunehmen: Abel verließ sie wegen einer anderen Frau.
Jill versuchte sich zunächst damit zu trösten, daß sie sich einredete, er sei noch zu sehr von dem Gedanken besessen gewesen, der Mann müsse den Boß spielen, und es ihm einfach zu schwerfiel, sie als gleichwertig anzuerkennen.
Es dauerte einige Zeit, bis sie herausfand, daß diese Vermutung nur teilweise der Wahrheit entsprach. In Wirklichkeit mußte sie sich eingestehen, schon deswegen einen geheimen Widerwillen gegen ihn mit sich herumgetragen zu haben, weil sie wußte, daß er ihr weder geistig ebenbürtig war, noch dies je sein würde. Dieses Wissen kam ganz plötzlich und aus Jills Unterbewußtsein. Sie hatte den Gedanken kaum gedacht, als sie ihn auch schon bedauerte und sich dessen schämte.
Von nun an gab sie sich keine Mühe, die über jene, einen gelegentlichen Sexualpartner zu finden, hinausging. Ihre Partner waren jetzt Männer und Frauen, die – wie sie selbst – lediglich auf sexuelle Befriedigung aus waren, die sie, wie Jill, hin und wieder auch erhielten. Dennoch fühlte sie sich anschließend meist frustriert. Was sie brauchte, war eine unverfälschte Beziehung und Kameradschaft.
Obrenowa und Thorn, so glaubte sie, schienen unter dem gleichen Schicksal zu leiden. Die beiden zeigten keinerlei Reaktionen, die man dahingehend interpretieren konnte, daß sie an jemandem sexuell interessiert waren. Soviel Jill wußte, hatten sie nicht einmal kurze nächtliche Affären.
Drei Tage vor dem Start wurde ganz Parolando beurlaubt. Jill zog sich aus der Ebene zurück, die jetzt von unzähligen Besuchern wimmelte, die aus allen Richtungen zusammengeströmt waren und einen Höllenlärm erzeugten. Bereits jetzt schienen mehrere hunderttausend in Parolando zu kampieren, und sie schätzte, daß sich diese Zahl bis zum Start der Parseval noch verdoppeln würde. Sie blieb also in ihrer Hütte und verließ sie nur, um hin und wieder fischen zu gehen. Am zweiten Tag, den sie am Ufer des kleinen Sees zubrachte, starrte sie gerade gedankenverloren in das Wasser, als sie jemanden kommen hörte.
Ihre Angst vor einer Besucherinvasion zerstob, als sie Piscator erkannte. Er trug eine Angelrute und den üblichen Binsenkorb. Schweigend nahm er neben ihr Platz und bot Jill eine Zigarette an. Sie schüttelte den Kopf. Eine Zeitlang starrten sie auf die Wasseroberfläche, die der leichte Wind sanft kräuselte und die hin und wieder ein springender Fisch durchbrach.
Schließlich sagte Piscator:
»Bald werde ich Lebewohl zu meinen Jüngern und meiner Angelausrüstung sagen müssen.«
»Ist dir die Sache soviel wert?«
»Du meinst, weil ich dieses herrliche Leben hier aufgebe und mich einer Expedition anschließe, die ebenso gut in Tod und Verderben enden kann? Zum Glück weiß niemand, was die Zukunft für uns bereithält, nicht wahr?«
Nach einer Weile sagte er: »Wie ist es dir ergangen? Haben sich deine Erfahrungen aus jener Nacht wiederholt?«
»Nein. Mir geht’s gut.«
»Aber du hast ein Messer in deinem Herzen herumgetragen.«
»Was meinst du damit?« fragte Jill und wandte den Kopf, um ihn genauer anzusehen. Sie hoffte inbrünstig, daß ihre Maske nicht so durchsichtig war, wie sie glaubte.
»Ich hätte besser drei Messer sagen sollen. Eins für den Kapitän, eins für die Russin – und eins für dich selbst.«
»Na gut, ich habe Probleme gehabt. Aber haben wir die nicht alle? Bist du etwa eine Ausnahme? Bist du überhaupt ein Mensch?«
Piscator lächelte. »Ganz sicher bin ich das. Ich bin sicher mehr ein Mensch als mancher andere, auch wenn sich das ein wenig eitel anhört. Und warum? Weil ich mir über mein menschliches Potential klargeworden bin. Ich kann natürlich
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