Farmer, Philip José - Flusswelt 05
man über ihn geschrieben hatte, mit ihrer Einschätzung richtig lagen.
Einige davon lagen jetzt auf dem Tisch. Er hatte ein paar der Titel angefordert, die Frigate vorgeschlagen hatte, und der Computer hatte sie für ihn ausgedruckt, gebunden und ihm als Reproduktionen über einen Konverter zukommen lassen. Das beste, hatte Frigate gesagt, sei Der Teufel jagt voran, geschrieben von der Amerikanerin Fawn M. Brodie, erstmals veröffentlicht im Jahre 1967.
»Als dieses Buch herauskam, gab ich meine Absicht auf, eine Biographie über dich zu schreiben«, hatte Frigate gesagt. »Aber ihre Qualität und Umfas-senheit hat andere nicht davon abgehalten, danach ebenfalls Biographien von dir zu verfassen. Es mangelte ihnen an einem guten Urteil. Vielleicht gefällt dir Der Teufel jagt voran aber trotzdem nicht. Die Brodie kam nicht umhin, dich in Freudschen Begriffen zu analysieren. Andererseits kannst du mir vielleicht sagen, ob sie recht hatte oder nicht. Doch wahrscheinlich bist du der letzte, der es weiß, nicht wahr?«
Burton hatte den Text zwar noch nicht gelesen, aber er hatte sich die Reproduktionen der Fotos angesehen. Eins zeigte ihn im Alter von einundfünfzig Jahren; ein Werk des berühmten Malers Sir Frederick Leighton, das in der National Portrait Gallery in London hing. Er sah finster aus, wie ein Elizabethianer und Freibeuter zugleich. Leighton hatte ihn aus einem solchen Winkel abgebildet, daß man genau seine hohe Stirn sehen konnte, die über den Augenhöhlen liegenden Wülste, die dicken Brauen, den gejagten, hungrigen Ausdruck seines Blickes, das sich vorschiebende Kinn, die hohen Wangenknochen. Die Narbe, die von einem Somalispeer zurückgeblieben war, war deutlich auszumachen; Leighton hatte darauf bestanden, sie zu zeigen, und Burton hatte keinen Einwand gehabt. Eine Narbe war, hatte man sie sich ehrenhaft eingehandelt, in gewisser Hinsicht ein Orden, und er, den man mit echten Orden hätte schmücken müssen, war übergangen worden.
»Zum Teil deine eigene Schuld«, hatte Frigate gesagt. »Ich kann es verstehen und habe auch Mitgefühl dabei. Ich habe mich auch selbst getäuscht, ich tue es immer noch.«
»>Ehre, nicht Ehrungen< war das Familienmotto«, hatte Burton gesagt.
Neben Leightons Porträt befand sich ein Foto seiner Frau Isabel, 1869 entstanden, als sie achtunddreißig Jahre alt gewesen war. Sie sah drall, königlich und stattlich aus. Wie eine freundliche, aber beherrschende Mutter, dachte er. Ein paar Seiten zuvor gab es ein Porträt von ihr, gemalt von dem französischen Künstler Louis Desanges (aus dem Jahr 1861, als sie Burton geheiratet hatte). Sie sah jung, hübsch und optimistisch aus. Darunter befand sich das Bild, das Desanges zur gleichen Zeit von Burton gemalt hatte. Sie war dreißig; er vierzig. Sein Schnurrbart fiel fast bis auf die Schulterknochen herab, und er sah in der Tat finster und ungestüm aus. Und wie dick seine Lippen waren. Aus denen gewisse Biographen - und andere - auf eine übermäßig empfindliche Natur geschlossen hatten. Wie dünn, affektiert und spitz Isabels Lippen waren. Ein Makel eines ansonsten perfekten, wunderschönen Gesichts. Dünne Lippen. Dicke Lippen. Liebe, Zärtlichkeit und Frohsinn gegen Düsterkeit, Ehrgeiz und Pessimismus. Isabel blond; er dunkel.
Er blätterte um, bis er auf ein Foto stieß, das im Jahre 1890 von ihm im Alter von neunundsechzig Jahren gemacht worden war, und auf ein weiteres von ihm und Isabel aus dem gleichen Jahr, vom gleichen Ort, Triest. Es war von seinem Leibarzt Dr. Baker unter einem Baum im Hinterhof gemacht worden. Burton saß auf einem Stuhl, der auf dem Foto nicht sichtbar war, die eine Hand auf dem Knauf seines eisernen Spazierstocks, die andere über das rechte Handgelenk gelegt. Die Finger sahen wie die eines Skelettes aus: die Hand des Todes höchstpersönlich. Er trug einen großen, grauen Zylinder, einen steifen, weißen Kragen und einen grauen Morgenmantel. Die Augen in dem hageren Gesicht sahen wie die eines sterbenden Gefangenen aus. Der er in gewissem Sinne auch gewesen war. Von der Wildheit, die in den früheren Bildern deutlich wurde, war wenig übriggeblieben.
Neben ihm: Lady Isabel. Sie schaute auf ihn hinab, hielt eine weiße Hand hoch, einen Finger ausgestreckt, als wolle sie ihn tadeln. Fett, fett, fett. Während er einschrumpfte, ging sie in die Breite. Und doch wußte sie laut Frigate, daß sie sterben mußte, die Saat des Todes in sich trug: Krebs. Sie hatte ihm kein Wort davon gesagt;
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