Farmer, Philip José - Flusswelt 05
sie wollte ihn nicht aufregen.
In ihrem schwarzen Kleid und dem Hut sah sie aus wie eine Nonne; wie eine Nonne, die auch Krankenschwester war. Freundlich, aber bestimmt. Keinen Unsinn.
Er verglich das jugendliche Gesicht im Spiegel mit dem auf dem Foto. Diese alten, alten Augen. Eingesunken, verzweifelnd, verloren. Die Augen eines Gefangenen, der keine Hoffnung auf Flucht oder Begnadigung hatte. Monde in der Verdunkelung.
Er erinnerte sich an Triest im September, den letzten Monat seines Lebens. Er hatte auf dem Markt Vögel in Käfigen gekauft, sie mit nach Hause genommen und freigelassen. Und wie er eines Tages vor einem Affen in einem Käfig stehengeblieben war. »Welches Verbrechen hast du in einer anderen Welt begangen, Jocko, daß man dich hier einsperrt, quält und durch das Fegefeuer gehen läßt?« Und indem er den Kopf geschüttelt hatte und fortgegangen war, hatte er gemurmelt: »Ich frage mich, was er getan hat. Ich frage mich, was er getan hat.«
Diese Welt, die Flußwelt, war ein Fegefeuer, wenn das, was die Ethiker sagten, zutraf. Das Fegefeuer war die schwerste der drei Nachwelten, Himmel, Fegefeuer und Hölle. Im Himmel war man frei und ekstatisch, und man wußte, daß die Zukunft immer gut sein würde. In der Hölle litt man zwar, wußte aber ein für allemal, wie die Zukunft aussehen würde. Man brauchte nicht nach der Freiheit zu streben; man wußte, daß man sie nie erreichen würde. Aber im Fegefeuer wußte man, daß man entweder in den Himmel oder die Hölle kommen würde, und es hing von einem selbst ab, wohin man ging. Mit den Freuden und der Freiheit des Himmels als Verlockung strampelte man sich verteufelt im Fegefeuer ab. Man wußte, wie man in der Theorie eine Fahrkarte zum Himmel bekam. Aber in der Praxis… ah, die Praxis… Sie entzog sich einem. Man machte sich die Zukunft selbst zunichte.
Die Erde hatte nur so gestarrt vor mannigfaltigen Verlockungen: körperliche, seelische, geistliche, wirtschaftliche, politische. Von diesen war eine der größten, wenn nicht sogar die allergrößte, der Sex.
Frigate hatte einst eine Geschichte geschrieben, in der Gott alle Tiere, also auch die Menschen, eingeschlechtlich geschaffen hatte. Keine Spezies verfügte über Männchen; es gab nur Weibchen. Die Frauen schwängerten sich, indem sie Früchte von Spermabäumen aßen. Die Fremdbefruchtung war eine sehr komplizierte Sache in der Geschichte, die Frauen verbreiteten Gene mit ihren Exkrementen, und die Bäume nahmen sie mittels ihrer Wurzeln auf. So waren Männer überflüssig, nicht vorhanden in dieser Parallelwelt, die Frigate sich ersonnen hatte.
Alle drei Jahren stellte sich bei den Frauen die Baumhitze ein, und sie verschlangen leidenschaftlich deren Früchte, bis sie schwanger wurden. Zwischenzeitlich verliebten sie sich ineinander, lebten freundschaftlich, leidenschaftlich oder im Zorn miteinander, waren eifersüchtig, begingen Ehebruch und probierten natürlich die verschiedensten erotischen Praktiken aus. Eine davon - eine keineswegs ungewöhnliche - bestand darin, sich in einen bestimmten Baum zu verlieben und außerhalb der Brunftzeit Früchte zu essen.
Der hauptsächliche Handlungsfaden der Story widmete sich der verrückten Eifersucht einer Frau, die in dem Glauben lebte, ihr Baumliebhaber habe ihr Hörner aufgesetzt, bis sie den besagten Baum einfach fällte. Von Trauer geschlagen ging sie danach ins Kloster.
Eine Nebenhandlung der Geschichte drehte sich um einen Science FictionAutor, der sich eine Welt ausgedacht hatte, in der es keine Spermabäume gab. Statt dessen hatten die Frauen männliche Partner, die ihr körperliches Ebenbild darstellten, aber über keine Brüste, sondern über rutenähnliche Organe verfügten, mit denen sie Samen in den Uterus ihrer Liebhaberinnen spritzten.
Diese Methode war laut des Science Fiction-Schreibers in Frigates Story die bessere und machte auch dem Wettstreit um die Bäume ein Ende. Die Männchen mit den Ruten ähnelten den Bäumen dahingehend, daß ihr nachgiebiger Charakter sie den Frauen gegenüber unterwürfig machte. Aber im Gegensatz zu den Bäumen waren sie auch zu anderen Zwecken als nur zur Reproduktion nützlich. Sie erledigten die Haus- und Feldarbeit und paßten auf die kleinen Kinder auf, während die Frauen Romme spielten oder politische Versammlungen besuchten.
Am Ende jedoch rebellierten die Rutengeschöpfe, die menschlicher waren als bloße Pflanzen (und muskulöser als die Frauen) und machten die Frauen zu ihren
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