Farmer, Philip José - Flusswelt 05
namens Tung Yen-tsu auf dem Berg Min im Land Shu zusammengelebt. Dort hatte er sein Wissen und seine Liebe zur taoistischen Philosophie vertieft und war zu einer Art hl. Franziskus geworden. Er und Tung zähmten wilde Vögel, zogen sie auf und lehrten sie, dem Klang ihrer Stimme zu gehorchen und ihnen aus der Hand zu fressen.
Chinesische »Eremiten« kann man jedoch nicht mit westlichen Einsiedlern vergleichen. Sie waren in der Regel Männer, die sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatten, jedoch mit ihren Familien und Dienstboten zusammenlebten und oft Freunde und Wanderer beherbergten.
Mit fünfundzwanzig Jahren verließ Li Po das Land Shu, um die östlichen und nördlichen Provinzen zu bereisen. Am längsten blieb er in Anlu in Hubei, weil er sich dort in ein Mädchen namens Hu verliebt hatte. Sie wurde seine erste Frau und schenkte ihm, bevor sie starb, viele Kinder.
Einmal reiste er mit einem Freund zu einem berühmten See, aber der Freund starb dort. Li Po begrub die Leiche am Seeufer, doch da der Freund in der Grabstätte seiner Vorfahren bestattet werden wollte, grub er ihn wieder aus, schlug ihn in Tücher ein und trug die Leiche über einhundertundfünfzig Kilometer auf dem Rücken nach Wuchang in Hubei.
»Ich hatte kein Geld, um ein Pferd zu kaufen. Ich hatte alles den Armen geschenkt.«
Li Pos Reputation als Dichter veranlaßte den T’ang-Kaiser Hsüan Tsung im Jahre 742 n. Chr., ihn an seinen Hof zu beordern, obwohl sich der arrogante Poet geweigert hatte, die Prüfungen für den Verwaltungsdienst auf sich zu nehmen. Li Po lernte schnell, Hsüans Lüsternheit und Müßiggang zu verachten, und auch die Korruption der Hofbeamten, die zur zunehmenden Verarmung und Verelendung des Volkes führte. Als ihm befohlen wurde, dem König seine Gedichte vorzutragen, erschien er betrunken im Palast und verlangte, daß der Erste Eunuch, ein sehr mächtiger Beamter, für ihn seine Stiefel auszog. Dies führte dazu, daß er sich keine Freunde bei Hofe machte und die Spione des Kaisers ihn genau beobachteten.
Es brachte ebenfalls mit sich, daß Li Po oft reisen mußte, um sich nach Förderern umzusehen. Dagegen hatte er jedoch nichts einzuwenden, denn er liebte das Herumreisen.
Seine zweite Frau starb, und von seiner dritten ließ er sich nach sehr kurzer Ehe in gegenseitiger Übereinkunft scheiden. Seine vierte Frau überlebte ihn.
Im Jahre 757 n. Chr. sammelte der sechzehnte Sohn des Kaisers, der Prinz von Lin, eine Armee und Flotte um sich, angeblich, um gegen den Rebellen An Lu-shan zu Felde zu ziehen. Li Po, der nicht wußte, daß Lin gegen seinen Vater revoltieren wollte, schloß sich ihm an.
»Ich war damals siebenundfünfzig Jahre alt, aber sehr stark und agil für mein Alter. Ich dachte, es sei vielleicht noch nicht zu spät für mich, Ruhm als Krieger zu erwerben, und der Kaiser würde es sich womöglich anders überlegen und mir einen hohen Posten verschaffen. Wenigstens eine Pension könnte er mir geben.«
Leider wurde Lins Verrat von einem älteren Bruder bloßgestellt, und seine Heere wurden aufgerieben. Li Po wurde zwar zum Tode verurteilt - schuldig der Mitverschwörung -, aber der Kaiser kam zu dem Schluß, daß er ein zu großer Dichter sei, um getötet zu werden. Li Po wurde verbannt, jedoch begnadigt, als er sechzig wurde. Auf dem Weg nach Hause zu seiner Frau stieg er betrunken in ein Boot und versuchte sein Spiegelbild im Wasser zu ergreifen. Er fiel über Bord, zog sich eine Lungenentzündung zu und starb kurz darauf.
»Warst du in diesem Augenblick wirklich überzeugt, dein Spiegelbild fassen zu können?« hatte Frigate gefragt.
»Ja. Hätte ich nur einen Becher Wein mehr getrunken, hätte ich es geschafft. Niemandem sonst wäre es gelungen, aber ich hätte es vollbracht.«
»Und was hättest du mit dem Bild angefangen?« hatte Nur trocken gefragt.
»Ich hätte es zum Kaiser gemacht! Um einen Li Po zu besiegen, braucht man fünfzig Männer. Zwei Li Pos hätten ganz China erobert!«
Dann hatte er so laut und lange gelacht, daß die anderen überzeugt waren, er wisse, wie lächerlich seine Prahlerei sei. Ganz sicher waren sie sich aber nicht.
»Der größte Trunkenbold der Welt«, hatte Frigate gesagt.
Li Po war am Ufer Des Flusses vom Tod erwacht. Dort hatte er seine Wanderungen wieder aufgenommen; aber er war ja, wie er gesagt hatte, ein solches
Leben gewöhnt. Auf der Erde war er die Ufer aller großen und der meisten kleineren Flüsse Chinas auf- und
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