Farmer, Philip José - Flusswelt 05
Fehlen ihrer viktorianischen Kleidung und die lange Zeit seit der letzten Begegnung die Verantwortung für ihre Gedächtnisschwäche.
Was die Kelly betraf, so war sie von Sickert und Gull auf einer dunklen Straße aufgegabelt, in eine dunkle Kutsche gelockt und mit einem Schlafmittel außer Gefecht gesetzt worden. Auch die Stride hatte Netley und Gull nur in einer düsteren Umgebung - und auch nur kurz - gesehen.
Burton wußte nicht, ob er zuerst den Turm und die Methode, mit der man sie hierher geholt hatte, erklären oder sie miteinander bekannt machen sollte. Er würde Geschmack an ihrer Reaktion finden, wenn sie merkten, in welcher Begleitung sie sich befanden. Aber er befürchtete, daß der daraus resultierende Aufruhr seine Erklärungen für lange Zeit unterbrechen würde. Andererseits würden sie eh eine Weile dauern, und während dieser Zeit erkannten sie einander vielleicht.
Er faßte einen Entschluß. »Zuerst solltet ihr euch kennen lernen«, sagte er.
»Das ist überflüssig für Annie und mich, Schätzchen!« sagte die Kelly. »Wir sind schon lange Freundinnen. Und Liz und ich sind alte Bekannte.«
»Auch dann«, sagte Burton grinsend, »gebietet es die Höflichkeit, und die Herren sollten es vielleicht auch erfahren.«
Er legte eine kurze Pause ein - oh, wie er es genoß! - und sagte dann: »Elizabeth Stride, Mary Jane Kelly und Annie Elizabeth Crook, darf ich Sie mit Sir William Gull und John Netley bekannt machen!«
Die folgenden Minuten boten ihm das, worauf er gehofft hatte. Gull erbleichte, und der Rand des Kelchs, den er gerade an die Lippen gehoben hatte, verweilte dort. Er sollte das Glas niemals austrinken. Netley erbleichte ebenfalls, und nach einem Augenblick der Starre sprang er auf und wich zurück, die Augen auf die Frauen gerichtet.
Annie erhob sich schnell aus ihrem Stuhl. »Jetzt erkenne ich Sie!« sagte sie und deutete mit einem zitternden Finger auf Gull. »Sie! Sie sind der verdammte Arzt, der gesagt hat, ich war verrückt! Und Sie« - sie spießte Netley mit dem Finger auf -, »Sie haben meinen Eddy weggeschleppt, als die Polizei kam!«
»Er hat auch zweimal versucht, Ihre Tochter zu töten«, sagte Burton. »Und, Mrs. Stride und Mrs. Kelly, dieser Herr«, - er zeigte auf Gull -, »ist derjenige, der Sie getötet hat. Mit der Hilfe dieses Mannes.«
»Gott hilf mir«, sagte Gull und fiel wieder auf die Knie. »Gott hilf mir und vergib mir, wie ich hoffe, daß Sie mir vergeben.« »Es war vor langer Zeit«, sagte Netley schnaubend. »Was für einen Unterschied macht das jetzt? Sie leben alle und sind wohlauf, nicht wahr, was für ein Schaden ist also entstanden?«
»Die Sache ist die«, sagte Burton, »die Stride und die Kelly wissen, daß Sie sie getötet haben, aber während der vielen Jahre am Fluß ist ihnen niemand begegnet, der über die Jack the Ripper-Morde sprach. Daher können sie…«
»He!« sagte die Kelly und deutete auf Gull. »Er ist Jack the Ripper?«
»Es gibt keinen Jack the Ripper, das heißt, Jack war nicht ein Mann, sondern drei, die zusammengearbeitet haben. Aber Gull schrieb die Briefe, die den Namen berühmt machten, und er hat die ganze Sache geplant. Was Sie nicht wissen, Mrs. Kelly, ist, was er Ihnen angetan hat, nachdem er Sie getötet hat. Wissen Sie noch wie Catherine Eddowes verstümmelt wurde? Es war nichts im Vergleich mit der Metzelei, die Gull an Ihnen betrieben hat. Soll ich es beschreiben?«
Gull stand wieder auf. »Nein!« rief er. »Nein! Selbst jetzt, wo ich meinen Frieden mit Gott gemacht habe, kann ich nicht vergessen, was ich getan habe!«
»Was ist mit mir?« fragte die Stride. »Was ist mit mir passiert?«
»Ihnen hat man die Kehle durchgeschnitten, mehr nicht. Gull hatte nicht die Zeit, sein Ritual bei Ihnen auszuführen.«
»Mehr nicht!« schrillte die Stride. »Mehr nicht! Ist das nicht genug?«
Schreiend lief sie auf Gull zu, die Arme ausgestreckt, die Finger gekrümmt. Er floh nicht, obwohl er zusammenfuhr, als sie ihm die Fingernägel ins Gesicht schlug. Netley war vorgetreten, als wolle er Gull helfen, trat dann aber nach kurzem Zögern wieder zurück.
Burton riß die schreiende Frau zurück. Gull betastete seine blutenden Wangen, sagte aber nichts.
»Ich würde ihm gern die Gedärme aus dem Leib reißen und sie ihm vor seine sterbenden Augen halten«, sagte die Kelly. Sie ging zur Stride, legte die Arme um deren Schultern und führte die schluchzende Frau davon.
»Genug des Dramas, der Vergeltung und
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