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Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Titel: Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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am Schalter eingeschriebene Briefe und Pakete ab und ist um acht Uhr vierzig wieder bei der Wever-Bank. Auf dem Gehsteig steht ein blauer Ford, mitten im Halteverbot, mit laufendem Motor und niemandem am Steuer. Da kommt ein junger Mann aus der Bank gelaufen, der trägt einen grüngrauen Mantel und eine Autobrille mit dunkelgelben Gläsern. Geschwind steigt er auf der Fahrerseite ein, drückt die Kupplung, legt den ersten Gang ein und löst die Handbremse. Dann kommt ein zweiter Mann aus der Bank. Auch er trägt einen grüngrauen Mantel, aber die Gläser seiner Brille sind grün und nicht dunkelgelb, und unter dem Arm trägt er eine große Mappe. Der zweite Mann steigt ein und klettert auf den Rücksitz. Seltsam, denkt Haitz. Im Kino wäre das jetzt ein Banküberfall, keine Frage. Er sieht dem Ford hinterher, der links in die De-Wette-Straße einbiegt und verschwindet.
    Der kleine Haitz betritt den Schalterraum der Wever-Bank. Da sieht er seinen Chef Jacques Beutter und den Titelkassier Arnold Kaufmann schlaff und blutüberströmt in ihren Drehstühlen hängen. Beutters Drehstuhl rollt nach hinten und dreht sich, und dadurch verliert der Kassier den Halt und gleitet langsam unter den Schreibtisch. Haitz schüttelt den Kopf. Er hat den Chef schon mehrmals darauf hingewiesen, dass die Drehstühle falsche Rollen haben. Diese Rollen hier sind für Teppichböden konzipiert, auf Linoleum rollen die viel zu leicht. Das kann gefährlich sein, Haitz hat das in der Gewerbeschule gelernt und ein Merkblatt der Unfallversicherungsanstalt erhalten, das er auch seinen Vorgesetzten weitergegeben hat, aber auf ihn hört ja keiner, weil er erst im zweiten Lehrjahr ist. Das sind die Dinge, die dem kleinen Haitz durch den Kopf gehen, und er wird sie der Polizei wenig später in allen Einzelheiten darlegen.
    Im Hinterraum steht Lehrling Siegrist und ruft in einen Telefonhörer: »Überfall! Überfall! Überfall!« Sieben Minuten später ist die Polizei da, und Siegrist gibt alles zu Protokoll, so genau er eben kann.
    »Heute Morgen, vermutlich um 09.35 Uhr …«
    Heute um 09.35 Uhr? Es ist doch noch nicht einmal neun Uhr.
    »… die genaue Zeit könne er nicht angeben, hätten 2 unbekannte jüngere Männer durch die Eingangstür den Schalterraum betreten, als außer Beutter, Kaufmann und ihm gar niemand zugegen gewesen sei. Von den beiden Unbekannten sei je einer an einen der beiden Schalter getreten. Im gleichen Moment sei der deutliche Ruf erfolgt: ›Hände hoch!‹ Da beide Unbekannten ihre Pistolen auf sie gerichtet, sie in Schach gehalten hätten, habe er sich erhoben, und soviel er gesehen habe, hätten dies auch Beutter und Kaufmann getan. Nach wenigen Sekunden seien Schüsse gefallen, total glaublich fünf oder sechs. Einer Eingebung folgend, habe er sich plötzlich von seinem Platz nach rückwärts in den nach hinten führenden Gang geflüchtet. Ob auf ihn geschossen worden sei, wisse er nicht. Auf alle Fälle sei er nicht getroffen worden. Es sei möglich, dass er sich schon geflüchtet habe, bevor der erste Schuss gefallen sei.«
    Kurz nach der Polizei trifft die Ambulanz ein. Beutter und Kaufmann werden auf Bahren gebettet und weggetragen. Sie reden noch ein paar Worte mit den Polizeibeamten, bevor sie das Bewusstsein verlieren.
    An jenem Morgen ist die Stadt voller Polizisten, die anhand eines sehr vagen Signalements nach den zwei Räubern suchen. Alle paar Minuten klicken irgendwo Handschellen, und dann wird wieder ein Bursche abgeführt, der das Unglück hat, einigermaßen jung und ziemlich groß oder ziemlich klein oder in Gesellschaft eines anderen jungen Burschen zu sein, der ebenfalls ziemlich groß oder ziemlich klein ist. Alle Grenzübergangsstellen sind in Alarmbereitschaft, die Bahnhöfe streng bewacht.
    Um zehn Uhr dreißig findet eine Polizeistreife den blauen Ford V8 am Albanrheinweg, wo Waldemar und Kurt so oft mit Dorly spazierengingen. Auf dem Rücksitz liegt eine leere Geldschale. Die Beute umfasst laut Polizeirapport »228 Schweizer Franken und 27 Rappen, 103 Französische Francs und 45 Centimes, 119 Reichsmark und 83 Pfennige, ferner acht silberne Zeppelingedenkmünzen, in der Größe eines alten Fünffrankenstückes, Jahrgang 1929 , mit der Aufschrift ›Weltfahrt August 1929‹ (Wert je 6 Franken 95 Rappen) sowie eine Goldmünze genau gleicher Ausführung, Verkaufswert 125 Franken.«
     
    *
     
    Nach seinem Auftritt mit den dreizehn roten Rosen tauchte Ernst Walder nicht mehr vor der Post auf. Vor und

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