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Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Titel: Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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aber doch so laut, dass sie es hören kann.
    Dorly bleibt stehen, mit dem Rücken zu Kurt und Waldemar.
    »Nicht wahr, Fräulein Dorly?« Waldemar Velte lächelt ihren Rücken an. »Eine Fotografie ist sozusagen etwas Schriftliches, da muss man vorsichtig sein.«
    Da wird Dorly wütend. Sie dreht sich um und stemmt die Fäuste in die Seiten. »Ich wurde recht heftig und setzte dem Velte auseinander, er müsse mir nichts erzählen über Vorsicht und Misstrauen; schließlich seien sie beide es, die mir ihre vollständigen Namen verheimlichen würden, während ich aus meinem Namen nie ein Geheimnis gemacht hätte; ich sagte sogar, meinetwegen dürften sie die Personalien meiner Vorfahren bis ins sechste und siebente Glied erfahren, wenn sie Wert darauf legten. Hierauf tat Velte zerknirscht, bat um Entschuldigung und fragte, ob er und Sandweg den Photomatonkasten benützen dürften. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden.«
    Kurt und Waldemar zwängen sich zusammen in den Photomatonkasten und werfen eine Münze um die andere ein, dann blitzt und blitzt es, und die beiden machen die Grimassen, die Dorly erwartet hat. Der Automat spuckt die Bilder aus, die bis auf den heutigen Tag in den Polizei- und Zeitungsarchiven liegen: Einzel- und Doppelaufnahmen, mit und ohne Hut, mit Zigarette im Mundwinkel und ohne, unbefangen lächelnd und grimmig verlegen. Insgesamt sind es vierzehn Bilder. Dorly Schupp: »Ich kenne die auf den Fotografien abgebildeten Männer gut. Mit dem einen hatte ich ein freundschaftliches Verhältnis. Ich besitze selber drei solche Fotografien, die mit den in Polizeibesitz befindlichen praktisch identisch sind. Diese wurden mir von den zwei Deutschen beim Photomatonkasten geschenkt. Wenn es dagegen keine Einwände gibt, würde ich die Bilder gerne als Andenken in meinem Besitz behalten.«
     
    *
     
    Am Heiligen Abend hat das Kaufhaus Globus schon um vier Uhr nachmittags Ladenschluss. Für einmal gehen Dorly, Waldemar und Kurt nicht hinunter zum Rhein, sondern stadteinwärts. »Auf Veltes Vorschlag hin spazierten wir vom Marktplatz die Freie Straße hoch. Als er bemerkte, dass rechter Hand eine Bijouterie noch geöffnet hatte, blieb er stehen und äußerte den Wunsch, mir zum Zeichen seiner Freundschaft einen goldenen Ring zu kaufen. Ich lehnte ab und musste sogar zornig werden, damit er von seinem Vorhaben abließ.«
     
    *
     
    »Am Mittwoch, 3. Januar 1934 , als ich, wie gewöhnlich damals, etwas nach 22 Uhr mit den beiden auf dem Marktplatz zusammentraf, wir uns einige Zeit unterhielten und ich von ihnen heimbegleitet wurde, bemerkte Velte beim Abschiednehmen, ich solle nicht erstaunt sein, wenn ich sie am darauffolgenden Tage, also Donnerstag, 4. Januar 1934 , nach 22 Uhr auf dem Marktplatz nicht anträfe, es bestehe nämlich die Möglichkeit, dass sie am Kommen geschäftlich verhindert seien. Als ich dann am Donnerstag, 4. Januar 1934 , nach 22 Uhr auf den Marktplatz kam, waren die beiden nicht dort. In jener Nacht habe ich sie überhaupt nicht gesehen.«

10
     
    In der Nacht vom vierten auf den fünften Januar sind Kurt und Waldemar tatsächlich geschäftlich unterwegs, und zwar in einem blauen Ford V8, Modell A, mit schwarzem Verdeck und Kennzeichen BS 15 750, dessen rechtmäßiger Besitzer ihn kurz zuvor an der Belchenstraße abgestellt hat. Dorly Schupp wollte das lange nicht glauben: »Dass Sandweg und Velte einen Ford gestohlen haben sollen, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Sandweg schwärmte zwar immer, dass das die besten Autos der Welt seien. Velte jedoch schwor, dass er sich nie im Leben in einen Ford setzen werde, weil Henry Ford den Wahlkampf der Nazis mit Geld unterstützt habe.«
    Gemächlich fährt der Ford südostwärts, am Bahnhof vorbei und hinein in die sanften Hügel des Jura, und dann sind da nur noch hartgefrorene Kuhweiden und kahle Kirschbäume. Alle paar Kilometer rollt das Auto durch nachtschwarze Bauerndörfer. Im Schein der Rücklichter wirbelt rot der Schneestaub von der Straße auf; aus dunklen Kuhställen muht schlaftrunkenes Vieh, in den Dachstuben seufzt geschundenes Gesinde, in den Erdgeschossen knirschen die Bauern mit den Zähnen.
     
    *
     
    Über den Ford V8 konnte mein Großvater ins Schwärmen geraten. »Das war die letzte große Ingenieurleistung Henry Fords: geräumig, antriebsstark und seiner Zeit technologisch um zwanzig Jahre voraus. 3,6 Liter Hubraum, 65 PS und eine Höchstgeschwindigkeit von 140 Stundenkilometern. Sagenhaft. Beim Aprikosenbaum

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