Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
Kollegen unbeliebt gemacht, weil er zu viel Verständnis für die Arbeitgeberseite zeigte.
Seit dem Überfall auf die Wever-Bank sind alle verfügbaren Polizisten im Dauereinsatz. Sämtliche Gasthäuser werden systematisch kontrolliert, Bahnhöfe, Zollstationen und Wechselstuben stehen unter ständiger Bewachung. Hunderte von Männern werden über Stunden oder auch Tage verhört, weil sie jung sind oder arbeitslos oder etwas kleiner oder etwas größer als irgendjemand. Die Polizei tut, was sie kann, aber in den Zeitungen tauchen die ersten Leserbriefe auf.
»Quo vadis, Basler Polizei? Seit über zwei Wochen spazieren die Wever-Bankräuber durch unsere Stadt und lassen es sich gutgehen mit dem Blutgeld. Und was tut unsere Polizei? Sie verteilt Parkbußen an unbescholtene Bürger.«
Die kommunistischen und sozialdemokratischen Zeitungen werfen der Polizei vor, dass sie auf demonstrierende Proletarier einprügle, wirkliche Mörder und Räuber aber laufenlasse. Die bürgerlichen Zeitungen fordern schärfere Ausländergesetze, härtere Strafen für Eigentumsdelikte und Aufrüstung der Polizei. Das nun scheucht die Politiker auf, und so hagelt es im Großen Rat Interpellationen, Postulate und Motionen. Das wiederum beunruhigt Polizeidirektor Carl Ludwig, der um seine Wiederwahl fürchtet. Er fordert von seinem Korps ultimativ die Festnahme der Bankräuber.
An jenem Morgen des zwanzigsten Januar 1934 haben Detektivkorporal Vollenweider und Polizeimann Nafzger bereits eine Pension an der Haltingerstraße überprüft. Jetzt geht es um zwei Ecken zur Pension der Hedwig Vetter an der Sperrstraße 83 – eine »ziemlich zweifelhafte Absteige«, wie sogar die sozialdemokratische »Arbeiter-Zeitung« schreiben wird. Allein in der letzten Woche hat die Polizei hier zehn verdächtige Individuen ausgehoben.
»Ich habe zur Polizei keine guten Beziehungen«, wird Hedwig Vetter zu Protokoll geben. »Ich glaube sogar, die Polizei hasst mich. Ich betreibe meine Schlaf- und Kostgängerei seit zwanzig Jahren; bis vor sechs Jahren hatte ich manchmal einen Polizeimann bei mir in Kost, seither nicht mehr.« Sie ist schon dreimal straffällig geworden wegen Nichtanmeldens von Pensionären.
Widerwillig öffnet die Wirtin den Polizisten die Tür. In Morgenrock und Lockenwicklern führt sie Vollenweider und Nafzger die Treppe hoch. »Ich wollte die Beamten als erstes zu Zimmer zwei führen, wo die beiden Deutschen logierten, die meine nobelsten Gäste waren.« Die Polizisten aber gehen systematisch vor und klopfen als erstes bei Zimmer eins an. Es öffnet Friedrich Seitz, 52 Jahre alt und badischer Staatsangehöriger, Schausteller und Hausierer ohne festen Wohnsitz. Seitz hat ein Rasiermesser in der Hand und das Gesicht voller Schaum. Hedwig Vetter: »Detektiv Vollenweider frug Seitz, wer er sei, und Seitz antwortete, ich bin Fritz Seitz. Hierauf sah Vollenweider im Fahndungsregister nach und sagte darauf zu Seitz, Sie müssen dann mit auf den Posten.«
Seitz ist polizeilich bekannt. Letztmals wurde er am 30. Oktober in Zürich aufgegriffen und zum sechsten Mal des Landes verwiesen. An der Zürcher Kuttelgasse hat er eine Geliebte namens Lina Hottinger, die ihn gerne heiraten möchte; ihretwegen reist er immer wieder ein.
Detektivkorporal Vollenweider geht weiter zu Zimmer zwei. Polizeimann Nafzger bleibt in Seitz’ Tür stehen, um dessen Flucht zu verhindern. Vollenweider klopft an, klopft noch einmal und noch einmal, ruft: »Polizei! Machen Sie sofort auf!«
Endlich geht die Tür auf. Auf dem vorderen Bett sitzt ein großer junger Bursche, der nur mit der Hose bekleidet ist und gerade seine Schnürsenkel bindet. Bei der Tür steht, ebenfalls halb angezogen, ein kleiner Bursche mit grünen Augen. Vollenweider tritt ein und verlangt die Ausweispapiere. Der Große greift in die Innentasche des Rocks, der über der Stuhllehne hängt, und reicht ihm die Pässe. Während Nafzger im Gang aufpasst, dass Schausteller Seitz nicht entwischt, fragt Vollenweider nach dem Beruf der beiden Herren: Hoch- und Tiefbauingenieure. Woher sie angereist kämen: aus Marseille. Da sieht Vollenweider, dass die Hand des großen Burschen in die äußere rechte Rocktasche gleitet. Der Detektiv stürzt sich auf ihn, brüllt: »Was – einen Revolver haben Sie auch noch!« stößt den Burschen zurück aufs Bett und wirft sich auf ihn. Ob der plötzlichen Aufregung flieht Pensionsinhaberin Hedwig Vetter aus dem Zimmer. Polizeimann Nafzger hingegen stürmt
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