Fast genial
Andy verschwand in seinem Arbeitszimmer
und kam mit einer aus einem Notizblock herausgerissenen Seite zurück. „Hier.
Das ist alles, was ich für dich tun kann.“
Francis nahm das Blatt und legte es in die Akte. „Danke
für Ihre Hilfe!“
„Hab ich gern gemacht.“ Andy brachte ihn zur Tür. „Eines
muss ich dich aber doch noch fragen. Hat deine Mutter in all den Jahren von mir
gesprochen?“
„Ja, oft.“
Andy lächelte. „Lügner.“
Francis musste ebenfalls lächeln. „Sie haben ja
gesagt, ich soll Ihnen nichts über meine Mutter erzählen. Nur eines: Ich
glaube, sie wäre deutlich glücklicher in ihrem Leben geworden, wenn sie mit
Ihnen zusammen gewesen wäre.“
Andys Lächeln verschwand, er wirkte aufgewühlt, und
Francis beschlich das Gefühl, dass er noch immer etwas für seine Mutter
empfand. Zuerst schien Andy antworten zu wollen, doch dann nickte er nur. Sie
gaben sich die Hand. Francis bedankte sich noch ein letztes Mal, dann verließ
er das Haus und fuhr mit dem Bus zu den anderen zurück.
Tijuana
1
Es war heiß, die Ledersitze glühten. Sie parkten am
Rand von Los Angeles. Anne-May und Grover waren in der Tankstelle, Francis saß
im Chevy und wartete. Sein Blick fiel auf die Insekten, die an der
Windschutzscheibe klebten. Seit elf Tagen waren sie nun schon unterwegs, und
gleich würden sie das Ziel der Reise erreichen. Vor Nervosität griff er wieder
nach den Artikeln, die er dabeihatte, und füllte seinen Kopf mit Fakten und
Zahlen.
... Die Zukunft scheint jedoch ungewiss. Denn noch
immer lagern allein in unseren Kliniken über 200000 potentielle
Kinder auf Abruf wohl für immer eingesperrt in blankpolierten Metalltanks. Die
California Cryobank in Los Angeles, die größte ihrer Art, beheimatet Spermien,
mit denen man noch in Tausenden Jahren Babys in die Welt setzen könnte. Für
Prof. Dilbert vom technologischen Institut in Cambridge eine bizarre
Vorstellung.
„Man denke sich ein Kind, das im Jahr 2005 angelegt
wurde, aber erst im Jahr 2008 auf die Welt kommt und dessen Vater schon seit 950 Jahren
tot ist“, meint er. „Allerdings war schon der Nobelpreisträger Muller der
Ansicht, dass dies wohl der einzige Weg wäre, den Vaterkonflikt eines
Retortenkindes zu umgehen.“
Schließlich gebe es momentan viele solcher Kinder,
die an ihrem Schicksal zerbrechen. „Aus dem Reagenzglas zu kommen und den
eigenen Vater nicht zu kennen, das gibt niemand gern zu“, sagt Dilbert. „Das
ist eine Wunde, die sich nie ganz schließt.“
Francis nickte bei diesem Satz unmerklich. Ja, so
war es. Während andere wussten, wo sie herkamen und wer ihre Eltern waren, war
er sein ganzes Leben lang mit dieser Wunde herumgelaufen. Aber jetzt, da er die
Akte über seinen Vater in der Hand hielt, spürte er, wie sich alles änderte.
Er verließ den Wagen und ging ein paar Schritte an
den Zapfsäulen entlang. Schon immer hatte er den Geruch von Benzin gemocht.
Während er Lockerungsübungen machte, fragte er sich, was er tun solle. Eine
Möglichkeit wäre, die Akte seines Vaters zu nehmen und damit einfach wieder
nach Hause zu fahren. Es wäre vernünftiger, denn er machte sich vielleicht zu
viele Hoffnungen, und wer wusste schon, wie die Begegnung mit diesem Ian Doble
verlaufen würde. Doch dann sah er, wie ein Vater mit seinem Sohn in den Laden
ging. Das Kind war müde, daher nahm sein Dad es einfach auf den Arm und trug
es. Die beiden kamen an ihm vorbei, er konnte seinen Blick nicht von ihnen
abwenden. Und da erinnerte sich Francis an den fröhlichen, selbstbewussten
Jungen, der er selbst einmal gewesen war. Ich kann wieder so werden, dachte er,
wenn jetzt alles gut läuft. Ich kann
wieder so sein. In diesem Moment beschloss
er, die Sache durchzuziehen.
Sie fuhren auf dem Highway nach Süden, Richtung Tijuana.
Unterwegs fiel Francis ein, wie Anne-May gesagt hatte, ihre Eltern würden
jemanden wie ihn bestimmt ablehnen. Mit seinem Vater - wenn der ihn
unterstützte - würde er bei den Gardeners sicher Eindruck machen können. Doch
war es nicht ebenso wahrscheinlich, dass das Treffen mit ihm schlecht ausging?
Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass seine Mutter depressiv war und sein Vater
als Neurochemiker ja vielleicht nach den entsprechenden Medikamenten forschte.
Francis schaute aus dem Fenster, nur noch vierzig Meilen, dann waren sie an der
Grenze.
„Was lächelst du so?“, fragte Anne-May nach einer
Weile.
Francis wandte sich ihr zu. „Ach, ich hab gerade
daran
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