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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
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„Weißt du, es heißt ja immer, dass man mit harter
Arbeit und Fleiß alles erreichen kann, aber dabei vergisst man, dass Glück und
Pech im Leben eine oft noch viel größere Rolle spielen. Es hängt so viel mehr
vom bloßen Zufall ab, als wir wahrhaben wollen.“
    Francis dachte an die Münze, die er vor Monaten in
der Klinik seiner Mutter geworfen hatte und die entscheiden sollte, wie alles
für ihn ausgehen würde. Ihn ärgerte, dass er damals nicht nachgesehen hatte,
was herausgekommen war.
    Der kleine Miles, der bisher friedlich mit seinem
Holzlaster auf dem Teppich gespielt hatte, wurde unruhig. Francis sah zu, wie
Andy seinen Sohn auf den Schoß nahm, ihm über den Kopf strich und ihn auf die
Stirn küsste. Diese Vertrautheit schmerzte ihn.
    „Schon verrückt“, sagte er. „Mich hat all die Jahre
nie interessiert, wer mein richtiger Vater ist, und jetzt denke ich an nichts
anderes mehr.“
    „Das ist ganz normal.“ Andy verlagerte seinen Sohn,
um bequemer sitzen zu können. „So wie dir geht es vielen anderen
Retortenkindern. Die Samenbank der Genies war zwar einzigartig - es gingen auch
nur gut zweihundert Kinder daraus hervor -, aber normale Retortenkinder gibt
es viele. Jedes Jahr kommen allein in diesem Land dreißigtausend auf die Welt,
inzwischen leben hier gut eine Million.“
    „So viele?“
    „Es ist ja kein schwieriger Prozess. Ein bisschen
Handarbeit in einer Kabine. Dazu flüssiger Stickstoff in Metalltanks, um das
Sperma bei minus 196 Grad einzufrieren, fertig. Das Sperma ist dann nahezu
unbegrenzt haltbar.“
    Francis nickte. Eine Weile blickte er zu Andy, der
mit seinem Sohn spielte. „Was ich bei der ganzen Sache nicht verstehe ...“,
hörte er sich plötzlich mit hohler Stimme sagen. „Hat sich von euch denn
keiner gefragt, was bei diesem Experiment eigentlich mit uns ist, wie ich und
die anderen Kinder uns später mal fühlen werden?“
    Andy schaute erst ihn an, sah dann zur Decke und
überlegte. „Wir hatten damals alle so viel Begeisterung...“, fing er an.
    Danach sagte er einfach gar nichts mehr.
     
    Nachdem sie die Gläser in die Küche gebracht hatten,
fragte ihn Andy, ob er Geschwister habe. Francis erzählte von Nicky, dass sein
kleiner Bruder nicht richtig wuchs und wie gern er ihn habe.
    Als er erwähnte, dass er und Nicky Fans der Knicks
seien, rief Andy begeistert: „Ich liebe die Knicks! Ich habe sogar noch
irgendwo ein Trikot, das von Ewing signiert ist. Meine Mutter kommt aus Forest
Hills, sie war regelrecht fanatisch, was Basketball anging.“
    „Bei mir war es mein Stiefvater“, sagte Francis. „Er
war total besessen von den Knicks, er hat uns immer zu den Spielen mitgenommen.
Einmal saßen wir sogar ganz vorne, so dass wir die Bankspieler hätten berühren
können.“
    „Du machst Witze.“
    „Nein, wirklich.“
    Ryan hatte immer behauptet, er sei früher ein
Spieler bei den Knicks gewesen, der kleinste in der Geschichte der nba. Als
Francis alt genug gewesen war, hatte Ryan ihn eingeweiht, und danach hatte er
ebenfalls behauptet, Ryan wäre früher ein berühmter Basketballspieler gewesen.
Nicky hatte damals einfach alles geglaubt, was man ihm erzählte, und war jedes
Mal total ehrfürchtig gewesen. „Echt?“, hatte er immer gefragt und danach den
Mund nicht mehr zubekommen. Obwohl Francis seinem eigenen Vater so nah war wie
noch nie zuvor, wünschte er sich für einen Moment, dass es wieder so wäre wie
früher, mit dem gutgelaunten Ryan, der seine John-Deere-Mütze trug und Kaugummi
kauend und Geschichten erzählend am Steuer saß, während er sie alle zum Madison
Square Garden fuhr.
    Dann sah er auf die Uhr. Schon Viertel vor zehn.
    Andy bemerkte es. „Du musst wohl langsam los, oder?“
    Francis nickte. Er deutete auf das Blatt mit der
Adresse seines Vaters. „Santa Monica ist durchgestrichen.“
    „Ja, er lebt nicht mehr dort. Ich habe gestern Abend
für dich herausgefunden, wo er sich jetzt befindet. Du kannst mir glauben, das
waren eine Menge Anrufe. Ich habe so lange herumtelefoniert, bis ich jemanden
erwischt habe, der wusste, wo sich dein Vater gerade aufhält. Doble lebt zurzeit
in Tijuana, Mexiko. Im ersten Moment kam mir das komisch vor, aber dann habe
ich im Internet gesehen, dass in Tijuana gerade ein großes Institut für Bio-
und Neurochemie gebaut wird. Das ist ein Prestigeprojekt eines Pharmakonzerns,
und da wird dein-Vater vermutlich mitwirken. Ich habe hier eine Adresse von
jemandem, der dir weiterhelfen kann.“

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