Fast geschenkt
ist wohl genau der Punkt, wo die Liebe ins Spiel kommt, denke ich, als ich die Autotür zuwerfe. Man liebt jemanden trotz seiner Schwächen. Lucy macht es offenbar nichts aus, dass Tom feuchte Hände hat - und ihm macht es offenbar nichts aus, dass sie so platte, langweilige Haare hat. So was nennt man wohl romantisch.
Als ich so neben meinem Auto stehe und das Haus der Websters betrachte, erscheint ein Mädchen in Jeans und mit einem Blumenkranz im Haar in der Haustür. Sie sieht mich auf sonderbare, fast schon aggressive Weise an -- und verschwindet dann wieder im Haus. Wahrscheinlich eine vonLucys Brautjungfern. War ihr vielleicht unangenehm, dass ich sie in Jeans gesehen habe.
Lucy ist wahrscheinlich auch da drüben, fällt mir ein - und ich wende mich instinktiv ab. Ich weiß, ich weiß, sie ist die Braut, aber ehrlich gesagt bin ich nicht wahnsinnig scharf darauf, sie wieder zu sehen. Wir sind uns vielleicht zweimal begegnet und haben uns nicht besonders gut verstanden. Was wahrscheinlich daran lag, dass sie dachte, ich sei in Tom verliebt. O Gott. Na ja, wenn Luke erst mal da ist, werde ich endlich allen zeigen, dass sie sich gründlich getäuscht haben.
Beim Gedanken an Luke erfasst mich ein nervöses Prickeln und ich muss tief einatmen, um mich zu beruhigen. Ich bin fest entschlossen, das Pferd dieses Mal nicht beim Schwanz aufzuzäumen. Ich werde ganz ruhig und besonnen bleiben und mir anhören, was Luke mir zu sagen hat. Und wenn er mir sagt, dass er nach New York zieht, dann... zieht er eben nach New York.
Egal. Darüber sollte ich jetzt noch nicht nachdenken. Ich marschiere auf unsere Haustür zu und schließe auf. Meine Eltern sind in der Küche: Mein Vater hat schon seine Weste an und trinkt Kaffee, während meine Mutter mit Lockenwicklern im Haar und einem Nylonumhang auf den Schultern eine Runde Sandwiches schmiert.
»Ich finde das einfach nicht richtig«, sagt sie in dem Moment, als ich die Küche betrete. »Es ist nicht richtig. Die regieren schließlich unser Land. Sieh sie dir doch mal an! Unmöglich! Geschmacklose Jacketts, fürchterliche Krawatten...«
»Glaubst du wirklich, die Regierungsfähigkeit wird davon beeinflusst, was man anhat?«
»Hi, Mum«, sage ich und lasse meine Tasche auf den Boden plumpsen. »Hi, Dad.«
»Es geht ums Prinzip!«, sagt Mum. »Wenn die sich keine Mühe geben, sich ordentlich anzuziehen, geben sie sich wahrscheinlich auch keine Mühe, der Wirtschaft auf die Beine zu helfen!«
»Das kannst du nun wirklich nicht vergleichen!«
»Natürlich kann ich das vergleichen! Becky, du meinst doch auch, dass Gordon Brown sich ein bisschen besser anziehen sollte, oder? Ständig diese fürchterlichen Straßenanzüge.«
»Weiß nicht«, weiche ich aus. »Vielleicht.«
»Siehst du? Becky findet das auch. So, und jetzt lass dich anschauen, Liebes.« Sie legt das Messer hin und betrachtet mich eingehend. Mir wird unter ihrem Blick angenehm warm, da ich weiß, dass ich gut aussehe. Ich trage ein Kleid und einen Blazer in Knallpink, einen Hut mit Federn von Philip Treacy und wunderschöne schwarze Satinschuhe mit jeweils einem Schmetterling aus hauchdünner Gaze darauf. »Ach, Becky«, sagt meine Mutter schließlich. »Du siehst zauberhaft aus. Du wirst der Braut die Schau stehlen.« Sie nimmt mir den Hut vom Kopf und betrachtet ihn. »Der ist ja was ganz Besonderes! Wie viel hat der gekostet?«
»Am... weiß ich nicht mehr«, lüge ich. »So an die... fünfzig Pfund?«
Das stimmt natürlich nicht. Er hat mehr so an die... Ach, egal, er war jedenfalls ziemlich teuer. Aber sein Geld wert.
»Und wo ist Luke?«, sagt Mum, als sie mir den Hut wieder aufsetzt. »Parkt er das Auto?«
»Ja, genau, wo ist Luke?« Mein Vater sieht auf und lacht schelmisch. »Wir haben uns so darauf gefreut, deinen Freund jetzt endlich kennen zu lernen.«
»Luke kommt später nach.« Ich zucke leicht zusammen, als ich die Enttäuschung auf ihren Gesichtern sehe.
»Er kommt später?«, fragt Mum schließlich. »Warum das denn?«
»Er kommt heute Morgen erst aus Zürich wieder«, erkläre ich. »Er hat da geschäftlich zu tun gehabt. Aber er wird rechtzeitig hier sein, versprochen.«
»Er weiß doch, dass die Trauung um zwölf ist, oder?«, fragt Mum besorgt nach. »Und du hast ihm erklärt, wo die Kirche ist?«
»Ja!«, sage ich. »Keine Panik, er wird schon rechtzeitig hier sein.«
Mir ist bewusst, dass ich etwas schnippisch klinge, aber ich kann nichts dagegen tun. Um ehrlich zu sein, bin
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