Fast geschenkt
ich am liebsten weglaufen, den ganzen Kram hinschmeißen und mir stattdessen ein schönes Paar Schuhe kaufen. Aber ich kann nicht. Ich muss da jetzt durch.
Und das ist überhaupt das Allerschlimmste: Mir ist nämlich nur deshalb so flau im Magen und meine Hände sind nur deshalb so feucht, weil mir das hier wirklich wichtig ist. Ich kann mir ausnahmsweise nicht einreden, dass es mir egal ist. Denn das ist es nicht. Wenn ich in New York keinen Job bekomme, kann ich nicht nach New York ziehen. Wenn ich dieses Bewerbungsgespräch jetzt in den Sand setze und sich herumspricht, dass ich unmöglich bin - dann war‘s das. O Gott. O Gott...
Gut, immer mit der Ruhe, schärfe ich mir ein. Ich kann es. Ich kann das hier. Und hinterher gönne ich mir eine kleine Belohnung. Daily Candy hat mir heute Morgen eine E-Mail geschickt, in der stand, dass in diesem Makeup-Tempel namens Sephora in SoHo heute bis vier Uhr eine spezielle Promotionaktion stattfindet. Jede Kundin bekommt eine Tüte mit Pröbchen - und wenn man 50 Dollar ausgibt, bekommt man gratis eine Wimperntusche dazu!
Na, sehen Sie, da geht es mir doch gleich viel besser. Allein der Gedanke daran richtet mich auf. Gut, dann mal los. Zeig‘s ihnen!
Ich zwinge mich, die Tür aufzudrücken, und befinde mich auf einmal in einem richtig schicken Restaurant, in dem zwischen schwarzem Lack und weißem Leinen bunte Fische in Aquarien herumschwimmen.
»Guten Tag«, begrüßt mich ein komplett in Schwarz gekleideter Maitre d`.
»Hallo«, sage ich. »Ich bin hier verabredet mit -«
Mist, jetzt habe ich doch tatsächlich die Namen der beiden vergessen!
Super, Becky. Das fängt ja toll an. Richtig professionell.
»Ahm... eine Sekunde bitte«, sage ich und wende mich mit hochrotem Kopf ab. Ich krame in meiner Tasche nach dem Zettel - und da ist er auch schon. Judd Westbrook und Kent Garland.
Kent? Ist das ein Name?
»Meine Name ist Rebecca Bloomwood«, sage ich zum Maitre d` und stopfe ganz schnell den Zettel wieder in die Tasche. »Ich bin hier mit Judd Westbrook und Kent Garland von HLBC verabredet.« Er geht eine Liste durch und lächelt dann etwas frostig. »Ah ja. Die Herrschaften sind schon da.«
Ich atme tief durch und folge ihm zu unserem Tisch - und da sitzen sie. Eine blonde Frau in einem beigefarbenen Hosenanzug und ein Adonis in einem tadellosen schwarzen Anzug mit graugrüner Krawatte. Ich unterdrücke den Drang wegzulaufen, schreite mit einem selbstbewussten Lächeln auf sie zu und strecke die Hand aus. Die beiden sehen zu mir auf und sagen einen Moment lang gar nichts -und ich bin mir todsicher, dass ich gegen irgendeine grundlegende Regel der amerikanischen Etikette verstoßen habe. In Amerika gibt man sich doch die Hand, oder? Oder küsst man sich etwa? Oder verneigt man sich?
Doch dann steht die blonde Frau dankenswerterweise auf und schüttelt mir herzlich die Hand.
»Becky!«, sagt sie. »Toll, Sie kennen zu lernen. Ich bin Kent Garland.«
»Judd Westbrook«, sagt der Mann und sieht mich aus tief liegenden Augen an. »Wir freuen uns sehr, Sie kennen zu lernen.«
»Danke, gleichfalls«, gebe ich zurück. »Und vielen Dank für die wunderschönen Blumen!«
»Nichts zu danken«, sagt Judd und bedeutet mir, mich zu setzen. »Gern geschehen.«
»War uns ein Vergnügen«, pflichtet Kent ihm bei.
Erwartungsvolles Schweigen.
»Na ja, mir... mir ist es auch ein unwahrscheinliches Vergnügen«, beeile ich mich zu sagen. »Es ist wirklich... phänomenal.«
So weit, so gut. Wenn wir einfach damit weitermachen, uns zu sagen, wie schön alles ist, dürfte die Sache gut gehen. Vorsichtig stelle ich meine Tasche zusammen mit der FT und dem Wall Street Journal auf den Boden. Ich hatte erst überlegt, auch die South China Morning Post mitzunehmen, dann aber beschlossen, dass das ein bisschen zu viel des Guten wäre.
»Einen Drink für Sie?«, fragt ein neben mir auftauchender Kellner.
»Ja bitte!«, sage ich und werfe einen Blick auf die Gläser der anderen. Das, was Kent und Judd trinken, sieht wie Gin Tonic aus, da nehme ich doch am besten das Gleiche. »Einen Gin Tonic, bitte.«
Und ehrlich gesagt, kann ich den gut gebrauchen, um mich ein wenig zu entspannen. Als ich die Speisekarte aufklappe, beäugen Judd und Kent mich so aufmerksam und interessiert, als glaubten sie, ich würde jeden Moment Blüten austreiben oder so.
»Wir haben Ihre Bänder gesehen«, eröffnet Kent den ernsten Teil des Gesprächs und lehnt sich nach vorne. »Und wir waren ganz
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