Faszination Menschenfresser
Wolfsrudel auf, um die von russischen und deutschen Truppen getöteten zu ersetzen. Sozusagen als letztes Mittel vereinbarten die sich gegenüberliegenden feindlichen Truppenverbände – mit Zustimmung ihrer Kommandeure – einen Waffenstillstand und vereinigten ihre Truppen, um die Wolfsplage zu beseitigen. Für einen kurzen Augenblick herrschte Frieden. Die Aufgabe, den gemeinsamen Gegner zu beseitigen, wurde jedoch keineswegs in einer planlosen Art und Weise angegangen. Die Wölfe wurden einer nach dem anderen zusammengetrieben und mehrere Hundert von ihnen wurden getötet. Die anderen flohen in alle Richtungen, um einem Gemetzel, wie sie es wohl noch nie erlebt hatten, zu entkommen. Berichten zufolge wurden die Soldaten danach nicht mehr belästigt.«
Auch während des Zweiten Weltkriegs attackierten immer wieder Wölfe Menschen auf dem Gebiet der damaligen Sowjetunion. So kam es zum Beispiel zwischen 1944 und 1954 im russischen Verwaltungsbezirk Kirov zu einer regelrechten Wolfsepidemie. Die Wölfe hatten sich dort seit langer Zeit wieder ungestört verbreiten können, da die Feuerwaffen der Bevölkerung für militärische Zwecke requiriert worden waren und die meisten Wolfsjäger zu diesem Zeitpunkt in der Roten Armee dienten. Im Verlauf der »Kirov-Wolfs-Attacken« wurden insgesamt 22 Kinder im Alter zwischen drei und 17 Jahren getötet.
Um eine Art Sonderfall handelte es sich beim sogenannten Wolf von Gysinge, der von 1820 bis 1821 im schwedischen Dorf Gysinge sein Unwesen trieb und dort 15 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen drei und 19 Jahren tötete, bis er im Februar 1821 erlegt wurde. Beim Studium alter Aufzeichnungen stellte sich später heraus, dass der infrage kommende Wolf offenbar im Jahr 1817 als Welpe von Jägern gefangen wurde und mehrere Jahre in Gysinge in Gefangenschaft verbracht hatte, bis er offensichtlich von der menschlichen Gesellschaft die Nase voll hatte und das Weite suchte. Wissenschaftler glauben, dass der einsame Wolf zum einen ohne Rudelanschluss nicht in der Lage war, ausreichend »natürliche« Beute zu jagen, und zum anderen durch das lange Zusammenleben mit Menschen seine natürliche Scheu vor ihnen verloren und sie dann irgendwann nur noch als Beute betrachtet hatte.
Abschließend muss hier allerdings noch einmal klar betont werden, dass das Risiko, heute in Europa von einem Wolf angegriffen zu werden, verschwindend gering ist. So sind in den letzten 50 Jahren in Europa gerade mal vier Menschen von Wölfen getötet worden. In Westeuropa fand der letzte Wolfsangriff auf einen Menschen im Jahr 2001 statt, als ein Schäfer in dem im Südosten Frankreichs gelegenen Mercantour National Park bei der Verteidigung seiner Herde von einem Wolf gebissen wurde.
Aber nicht nur in Europa, sondern vor allem in Asien kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Angriffen von Wölfen auf Menschen. Allein 1878 sollen im damaligen Britisch-Indien 624 Menschen von Wölfen getötet und zum Teil auch gefressen worden sein. Aber auch nach der Kolonialzeit wurden immer wieder tödliche Wolfsattacken auf dem indischen Subkontinent registriert. So tötete ein Rudel von fünf Wölfen zwischen Februar und August 1981 in der Umgebung der indischen Stadt Hazaribagh insgesamt 13 Kinder. Die Wölfe waren offensichtlich von Schlachtabfällen, die auf der Müllhalde der Stadt deponiert worden waren, bzw. von noch nicht bestatteten Toten, die nahe der örtlichen Leichenhalle aufgebahrt worden waren, in die Stadt gelockt worden. Die Wölfe wurden nach und nach von der Bevölkerung getötet.
Nur fünf Jahre später töteten die sogenannten Wölfe von Ashta, ein aus sechs Tieren bestehendes Wolfsrudel, 17 Kinder im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh.Die Furcht vor den Wölfen war derart groß, dass Gerüchte die Runde machten, bei den menschenfressenden Wölfen handle es sich nicht um echte Wölfe, sondern um Dämonen in Wolfsgestalt. Aber auch Dämonen scheinen nicht kugelfest zu sein, denn die fraglichen Wölfe wurden bald darauf einer nach dem anderen, mit Ausnahme der beiden zum Rudel gehörenden Welpen, von Jägern bzw. Forstoffiziellen erschossen. Zwischen 1996 und 1997 kam es dann im Bundesstaat Uttar Pradesh zu zahlreichen Zwischenfällen mit Wölfen, in deren Verlauf 74 Menschen, die meisten davon Kleinkinder, getötet oder schwer verletzt wurden.
Auch in Nordamerika ist es in der Vergangenheit zu Angriffen von Wölfen auf Menschen gekommen. Aber obwohl es in Nordamerika immerhin rund 60 000
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