Faszinierend wie der Kuss des Herzogs
die für die Dinge kämpft, die ihr wichtig sind. Das bewundere ich an dir. Und damals wollte ich deinem Beispiel folgen.“
Wieder einmal kämpfte sie mühsam mit den Tränen. Jahrelang hatte sie darunter gelitten, dass niemand ihr Streben nach Höherem verstand, ihren Wunsch, mehr zu erreichen, als nur ein privilegiertes, zivilisiertes Leben zu führen. Und jetzt fand sie eine verwandte Seele. „Auch ich habe Dinge getan, die ich bereue“, gestand sie. „Aber eins konnte ich feststellen – niemand ist wirklich verloren. Wenn man einem falschen Weg gefolgt ist, hat man immer die Möglichkeit, die Richtung zu ändern.“ Und dann küsste sie ihn.
In diesem Kuss lagen das Leid und die Unsicherheit, die sie so lange gequält hatten, und alles, was sie ersehnte. Auch Edwards Schmerzen versuchte sie zu mildern, die Tragik seiner Vergangenheit. So viel bedeutete dieser Moment – alles .Nach einer Weile rückte sie ein wenig von ihm ab. Im sterbenden Feuerschein betrachtete sie sein markantes Gesicht, prägte sich seine Züge ein, um sie für immer in ihrer Erinnerung zu bewahren – die Konturen seiner sinnlichen Lippen, das prägnante Kinn, die gebrochene Nase. Seine Augen blieben geschlossen, sogar, als sie den Puls an seinem Hals küsste. „Jetzt sollten wir ins Bett gehen“, flüsterte sie und lehnte ihre Stirn an seine Schulter. „Es ist spät geworden.“
Wortlos stand er auf und hob sie hoch. Während er sie ins dunkle Schlafzimmer trug, umschlang sie seinen Nacken.
Früher hatte sie ihn bekämpft und gefürchtet. Und jetzt vertraute sie ihm, ganz egal, wohin er sie entführen mochte. Selbst wenn er sie ins beklemmende, unbekannte Reich der Wahrheit mitnahm – davor schreckte sie nicht zurück.
25. KAPITEL
Edward lag auf zerwühlten Laken im Bett. An seiner Seite schlief Clio tief und fest, einen Arm über seiner Brust, und seufzte in ihren Träumen. Der ganze Raum roch nach ihrer Lilienseife, nach ihrer warmen, seidigen Haut.
Zärtlich strich er ihr das wirre Haar aus der Stirn. Dieses Glück war mehr, als er verdiente. Trotzdem genoss er es. Geschöpfe wie Musen waren launisch. Jeden Moment konnte Clio ihm entwischen. Aber vorerst hielt er sie fest.
Er starrte durch das kleine Fenster ins Sternenlicht, das immer schwächer blinkte. Bald würde die Nacht ein Ende finden – eine Nacht, in der sich sehr viel geändert hatte. Nie zuvor hatte er über die junge Kellnerin gesprochen, seine schreckliche Tat – die Zechgelage, das Opium, seine nichtswürdigen Freunde. Dies alles hatte ihn so weit von den Pflichten entfernt, die er seinem Namen schuldete.
Jetzt war er der Duke of Averton, arbeitete für die Wissenschaft, sein Landgut und die Wohlfahrt. Doch es hatte nie genügt, um die Vergangenheit auszulöschen. Erst in dieser Nacht war das geschehen, als er Verständnis und Vergebung in Clios Augen gelesen hatte – und einen neuen Hoffnungsschimmer.
Wie die griechischen Musen beobachtete sie menschliche Dummheiten und Schwächen, und sie sah alles. Sie erkannte, was jemanden zu Verzweiflungstaten trieb, die sie verstand, die ihr Mitleid erregten. Und ihre Küsse bedeuteten bedingungsloses Verzeihen. Könnte er das bloß akzeptieren …
Jetzt bewegte sie sich in seinen Armen. Blinzelnd öffnete sie die Augen und starrte ins Nichts, als wäre sie immer noch in ihren Träumen gefangen. Dann lächelte sie ihn an. „Geht es dir gut?“
„Natürlich.“ Er kroch zu ihr unter die Laken, die sie erwärmt hatte. „Noch nie habe ich mich besser gefühlt.“
„Ich auch nicht. Wer hätte das gedacht?“
„Was?“
„Wir beide, hier in einem Bett … Und wir haben einander nicht einmal bewusstlos geschlagen oder aus dem Fenster geworfen.“
Edward lachte. „Nicht einmal eine Katze kann man durch dieses winzige Fenster werfen. Und wir haben ohnehin keine. Aber ich bin dir dankbar, weil du mir eine körperliche Züchtigung ersparst. Diese Gnade verdiene ich wohl kaum.“
„Allerdings nicht. Eine Entführung ist ein schweres Verbrechen. Eines Tages werde ich dich dafür bestrafen.“
„Wenn ich es am wenigsten erwarte?“
„Die Rache ist sinnlos, wenn das Opfer damit rechnet, nicht wahr? Aber in einem Punkt hast du recht.“
„Nur in einem? Und ich nahm an, ich hätte in allen Dingen recht.“
„So eingebildet – ein echter Duke … Trotzdem hast du recht, was die Katze betrifft. Die fehlt in dieser Hütte.“
Erstaunt hob er die Brauen. Wieder einmal gelang es ihr, ihn zu überraschen.
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