Fata Morgana
Mann – ein Visionär. Und Sir John Stillwell steht hinter uns, mein früherer Chef. Er war im Innenministerium, bis er in Pension ging, und machte seinen Einfluss geltend, damit dies hier entstehen konnte. Es ist ein medizinisches Problem – das müssen wir den Behörden begreiflich machen. Die Psychiatrie hat sich während des Krieges durchgesetzt. Das einzig wirklich Gute, das sich daraus... Aber zuallererst möchte ich, dass Sie unseren Ansatz kennen lernen. Schauen Sie bitte einmal nach oben –«
Miss Marple schaute hinauf zu den Worten, die in den großen Torbogen eingemeißelt waren:
SCHÖPFT NEUE HOFFNUNG,
WENN IHR EINGETRETEN
»Ist das nicht hervorragend! Ist das nicht genau der richtige Ton? Man darf diese jungen Burschen nicht schelten – oder sie bestrafen. Danach sehnen sie sich ja oft sogar – bestraft zu werden. Wir wollen ihnen ein Gefühl dafür geben, was für wunderbare junge Männer sie sind.«
»Wie Edgar Lawson zum Beispiel?«, fragte Miss Marple.
»Ein interessanter Fall. Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Er hat mit mir gesprochen«, sagte Miss Marple. Entschuldigend fügte sie hinzu: »Ich habe mich gefragt, ob er nicht vielleicht ein bisschen verrückt ist.«
Dr. Maverick lachte vergnügt. »Wir sind alle verrückt, meine Liebe«, sagte er, während er sie durch die Tür geleitete. »Das ist das Geheimnis des Seins. Wir sind alle ein bisschen verrückt.«
Sechstes Kapitel
I m Großen und Ganzen war es ein ziemlich anstrengender Tag.
Reine Begeisterung an sich kann äußerst ermüdend sein, dachte Miss Marple. Sie war auf eine vage Art unzufrieden mit sich und ihren Reaktionen. Es gab hier ein Muster – vielleicht auch mehrere, aber sie hatte noch keine klare Vorstellung davon. Die leichte Beunruhigung, die sie empfinden mochte, betraf den bedauernswerten, aber unauffälligen Edgar Lawson. Wenn sie nur in ihrem Gedächtnis die richtige Parallele finden würde. Irgendetwas, was sie nicht hätte benennen können, war mit Edgar Lawson nicht in Ordnung – etwas, was über die beobachteten und anerkannten Fakten hinausging. Aber beim besten Willen vermochte Miss Marple nicht zu erkennen, wie das, was immer es sein mochte, ihre Freundin Carrie Louise in Mitleidenschaft ziehen konnte. In den wirren Mustern des Lebens in Stonygates beeinträchtigten sich die Sorgen und Wünsche der Menschen gegenseitig. Aber nichts davon beeinträchtigte (soweit bis jetzt zu erkennen war) Carrie Louise.
Carrie Louise... Ganz plötzlich wurde Miss Marple klar, dass nur sie allein, wenn man von der abwesenden Ruth absah, diesen Namen verwendete. Für ihren Mann war sie Caroline. Für Miss Bellever Cara. Stephen Restarick sprach sie normalerweise als Madonna an. Wally benutzte das formelle Mrs Serrocold, und Gina nannte sie Grandam – eine Mischung, so hatte sie erklärt, aus Grande Dame und Grandma.
Lag vielleicht eine Bedeutung in den verschiedenen Namen, die für Caroline Louise Serrocold in Gebrauch waren? War sie für sie alle eher ein Symbol als eine Person aus Fleisch und Blut?
Als am nächsten Morgen Carrie Louise, die beim Gehen ein wenig die Füße schleifen ließ, sich neben ihre Freundin auf die Gartenbank setzte und sie fragte, woran sie gerade denke, erwiderte Miss Marple ohne zu zögern:
»An dich, Carrie Louise.«
»Und wieso?«
»Sag ehrlich – gibt es irgendetwas, was dich beunruhigt?«
»Mich beunruhigt?« Die klarblauen Augen blickten erstaunt. »Aber Jane, was sollte mich denn beunruhigen?«
»Na ja, die meisten von uns haben doch Sorgen.« Miss Marple zwinkerte ein bisschen. »Ich hab jedenfalls welche. Nacktschnecken im Garten, weißt du – die Schwierigkeit, Wäsche richtig zu stopfen – und dass ich keinen Kandiszucker für meine in Gin eingelegten Pflaumen bekomme. Ach, lauter so lästige Kleinigkeiten – es wäre doch unnatürlich, wenn du überhaupt keine Sorgen hättest.«
»Wahrscheinlich habe ich tatsächlich welche«, sagte Mrs Serrocold. »Lewis arbeitet zu viel, Stephen vergisst über der Schufterei am Theater sogar das Essen, Gina ist zu sprunghaft... Aber ich war noch nie in der Lage, Menschen zu verändern, ich wüsste gar nicht, wie das gehen soll. Also hat es doch auch keinen Sinn, sich Sorgen zu machen, oder?«
»Mildred ist auch nicht gerade glücklich, wie mir scheint.«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Carrie Louise. »Mildred ist nie glücklich. Sie war nicht mal als Kind glücklich. Ganz im Gegensatz zu Pippa, die immer nur so
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