Fata Morgana
Inzwischen glaube ich, dass er tatsächlich jemanden verdächtigte – warum wäre er sonst ermordet worden?«
»Aber er hat Ihnen gegenüber keinen Namen genannt?«
»Er hat keinen Namen genannt. Wir waren uns einig, dass wir die Sache gründlich untersuchen müssten, und er meinte, wir sollten uns um Rat und Hilfe von Dr. Galbraith bemühen, dem Bischof von Cromer. Dr. Galbraith ist ein alter Freund der Gulbrandsens und einer der Kuratoren des Instituts. Er ist ein Mann von großer Weisheit und Lebenserfahrung, und sein Beistand wäre für meine Frau überaus tröstlich, wenn – wenn es notwendig werden sollte, sie von unserem Verdacht zu unterrichten. Wir wollten auch seinen Rat darüber einholen, ob wir die Polizei einschalten sollten.«
»Höchst ungewöhnlich«, sagte Curry.
»Gulbrandsen verließ uns nach dem Abendessen, um an Dr. Galbraith zu schreiben. Er war dabei, diesen Brief zu tippen, als er erschossen wurde.«
»Woher wissen Sie das?«
Lewis sagte ruhig: »Ich weiß es, weil ich den Brief aus der Maschine genommen habe. Ich habe ihn hier.«
Er zog ein zusammengefaltetes, mit Maschine beschriebenes Blatt aus der Brusttasche und überreichte es Curry. Dieser sagte scharf: »Das hätten Sie nicht tun dürfen. Sie hätten überhaupt nichts in dem Raum anfassen dürfen.«
»Ich habe sonst nichts angefasst. Ich weiß, dass ich damit in Ihren Augen eine unverzeihliche Übertretung begangen habe, aber ich hatte einen äußerst triftigen Beweggrund. Ich war mir sicher, dass meine Frau darauf bestehen würde, in das Zimmer zu kommen, und hatte Angst, sie könnte den Brief oder einen Teil davon lesen. Ich gestehe, dass ich unrecht gehandelt habe, muss Ihnen aber leider sagen, dass ich es wieder tun würde. Ich würde alles tun – alles –, um meiner Frau Kummer zu ersparen.«
Inspektor Curry sagte für den Augenblick nichts mehr. Er las den Brief.
»Verehrter Dr. Galbraith.
Ich möchte Sie herzlich bitten, nach Stonygates zu kommen, s o bald Sie diese Zeilen gelesen haben, wenn Sie es irgend ermögl i chen können. Eine äußerst ernste Krise ist eingetreten, und ich weiß nicht, wie ich sie bewältigen soll. Ich weiß, welch tiefe Zune i gung Sie zu unserer lieben Carrie Louise hegen und wie sehr I h nen alles am Herzen liegt, was sie betrifft. Wie viel muss sie wi s sen? Wie viel können wir vor ihr verheimlichen? Dies sind die Fragen, deren Beantwortung mir so schwer fällt.
Um keine Umschweife zu machen: Ich habe Grund zu der A n nahme, dass diese liebenswerte, unschuldige Frau von irgendj e mandem langsam vergiftet wird. Der Verdacht kam mir zum er s ten Mal, als –«
An dieser Stelle brach der Brief ab.
Curry sagte: »Und als er so weit gekommen war, wurde Christian Gulbrandsen erschossen?«
»Ja.«
»Aber warum in aller Welt befand sich der Brief noch in der Maschine?«
»Ich kann mir nur zwei Gründe denken. Erstens: Der Mörder hatte keine Ahnung, an wen Gulbrandsen schrieb und worum es in dem Brief ging. Zweitens: Er hatte keine Zeit, ihn an sich zu bringen. Vielleicht hat er jemanden kommen hören und konnte sich gerade noch unbemerkt davonmachen.«
»Und Gulbrandsen hat nicht durchblicken lassen, wen er verdächtigte – wenn er denn einen bestimmten Verdacht hegte?«
Nach einer fast unmerklichen Pause sagte Lewis: »Nein, nicht im Geringsten.« Dann fügte er ziemlich kryptisch hinzu: »Christian war immer sehr fair.«
»Wie, glauben Sie, wurde das Gift – Arsen oder was immer – verabreicht?«
»Darüber habe ich nachgedacht, als ich mich fürs Abendessen umzog, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es am leichtesten mit einer Arznei ginge, die meine Frau einnimmt. Was das Essen betrifft, so bekommen wir alle dieselben Gerichte, es wird also nichts extra für meine Frau zubereitet. Aber Arsen in ein Medizinfläschchen tun, das könnte jeder.«
»Wir müssen die Arznei mitnehmen und analysieren lassen.«
»Ich habe bereits eine Probe«, erwiderte Lewis leise. »Ich habe sie heute Abend vor dem Essen genommen.«
Aus einer Schreibtischschublade holte er ein verkorktes Fläschchen mit einer roten Flüssigkeit darin.
Mit einem seltsamen Blick sagte Inspektor Curry: »Sie denken wirklich an alles, Mr Serrocold.«
»Ich glaube an spontanes Handeln. Heute Abend habe ich meine Frau daran gehindert, ihre gewohnte Dosis einzunehmen. Sie steht noch immer in einem Glas auf der Eichenkommode in der Halle – die Flasche mit dem Tonikum selbst steht im
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