Fata Morgana
leider sagen müssen, was hier vorgeht. Es wäre unverantwortlich, sie nicht zu warnen.«
Lewis Serrocold sagte mit Nachdruck: »Ja. Sie muss wissen, dass jemand sie umbringen will. Auch wenn sie das für schier unglaublich halten wird.«
Sechzehntes Kapitel
I
» Ä h, Miss? Stimmt das, dass da so'n fieser Giftmörder zugange is?«
Gina strich sich das Haar aus der Stirn und fuhr zusammen, als das heisere Flüstern an ihr Ohr drang. Sie hatte Farbe auf der Wange und Farbe an der Hose. Sie und ihre ausgewählten Helfer hatten im Akkord den Hintergrund – der Nil bei Sonnenuntergang – für die nächste Theateraufführung gemalt.
Es war einer der Helfer, der ihr jetzt diese Frage stellte. Ernie, der Junge, der ihr so wertvolle Tipps im Knacken von Schlössern gegeben hatte. Ernie hatte genauso geschickte Hände, wenn es galt, Bühnendekorationen zu zimmern, und er war einer der eifrigsten Helfer beim Theater.
Mit leuchtenden Knopfaugen sah er Gina erwartungsvoll an. Er zwinkerte. »Is schon in den ganzen Schlafsälen rum«, sagte er. »Aber Sie wissen schon, Miss, von uns war's keiner. Ehrlich nich. Und Mrs Serrocold tät sowieso keiner was tun. Nich mal Jenkins tät ihr eins über die Rübe geben. Mit der alten Zicke wär's was anders. Hätt nix dagegen, die zu vergiften, wirklich nich.«
»Sprich nicht so über Miss Bellever.«
»Tschuldigung, Miss. Is mir so rausgerutscht. Was für'n Gift war's denn, Miss? Strychnin, was? Da verkrümmt's eim den Rücken, und man stirbt unter Qualen, bei dem. Oder war's Blausäure?«
»Ich weiß nicht, wovon du redest, Ernie.«
Ernie zwinkerte wieder.
»Von wegen, Sie wissen's nich! Mr Alex war's, der hat's gemacht, das sagen alle. Hat die Pralinen aus London mitgebracht. Aber das is gelogen. Mr Alex tät doch so was nie machen, oder, Miss?«
»Natürlich nicht«, sagte Gina.
»Mr Baumgarten, der schon eher. Wenn der Gymnastik mit uns macht, schneidet er immer so Grimassen, und Don und ich glauben, der hat sie nich alle.«
»Nimm lieber mal das Terpentin da weg.«
Ernie gehorchte und brummelte vor sich hin: »Wird ja richtig spannend hier. Gestern der alte Gulbrandsen abgeknallt, und jetzt auch noch ein Giftmörder. Mein Sie, es is beides derselbe? Was tät'n Sie sagen, Miss, wenn ich Ihn' sag, ich weiß, wer ihn kaltgemacht hat?«
»Du kannst doch gar nichts darüber wissen.«
»So, kann ich nich, ja? Und was, wenn ich gestern Nacht draußen war und was gesehen hab?«
»Wie willst du denn rausgekommen sein? Das College wird nach dem Appell um sieben abgeschlossen.«
»Appell – ich kann raus, wann ich will, Miss. Schlösser sind ein Klacks für mich. Ich geh oft raus und lauf bloß so zum Spaß auf dem Grundstück rum, ehrlich.«
»Jetzt hör schon auf, mich anzulügen, Ernie«, sagte Gina.
»Wer lügt hier?«
»Du. Du lügst mich an und prahlst mit Sachen, die du überhaupt nicht getan hast.«
»Das denken Sie, Miss. Warten Sie's ab, bis die von der Polente komm und mich ausfragen, was ich letzte Nacht alles gesehn hab.«
»Und, was hast du gesehen?«
»Tja«, sagte Ernie, »das täten Sie gern wissen, Miss, gell?«
Gina ging auf ihn los, und er brachte sich Hals über Kopf in Sicherheit. Stephen kam von der anderen Seite des Theaters herüber und trat zu Gina. Sie besprachen verschiedene technische Fragen und gingen dann nebeneinander zum Haus zurück.
»Die wissen anscheinend schon alle Bescheid über Grandam und die Pralinen«, sagte Gina. »Die Jungen, meine ich. Woher wissen die das?«
»Es hat sich halt irgendwie herumgesprochen.«
»Sie wissen sogar das mit Alex' Visitenkarte. Stephen, das war doch eine unglaubliche Dummheit, Alex' Visitenkarte in die Schachtel zu legen, wo er doch selber hierher gekommen ist.«
»Schon, aber wer konnte das wissen? Er hat sich spontan entschlossen und ein Telegramm geschickt. Wahrscheinlich war das Päckchen da schon aufgegeben. Und wenn er nicht gekommen wäre, dann wär's doch durchaus eine gute Idee gewesen. Ab und zu schickt er Caroline ja tatsächlich Pralinen.« Nach einer Pause fuhr er langsamer fort: »Was mir nicht in den Kopf will, ist –«
»Warum überhaupt jemand Grandam vergiften will«, unterbrach ihn Gina. »Ich weiß. Es ist unvorstellbar! Sie ist so anbetungswürdig – und jeder hier betet sie auch wirklich an.«
Stephen sagte nichts. Gina sah ihn scharf an.
»Ich weiß genau, was du denkst, Steve!«
»Ach ja?«
»Du denkst, dass Wally sie – nicht anbetet. Aber Wally würde nie
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