Fata Morgana
wollten Sie uns aber genau das glauben machen. Wir nennen so etwas einen doppelten Bluff, Mr Restarick.«
»Aha. Was sind Sie doch schlau. Übrigens, waren die Pralinen denn nun tatsächlich vergiftet?«
»Die sechs Pralinen mit Kirschgeschmack in der oberen Schicht waren vergiftet, ja. Sie enthielten Akonitin.«
»Keines meiner Lieblingsgifte, Inspektor. Ich persönlich schwöre auf Curare.«
»Curare muss in den Blutkreislauf gelangen, Mr Restarick, nicht in den Magen.«
»Wunderbar, wie gebildet unsere Gesetzeshüter sind«, sagte Alex bewundernd.
Inspektor Curry sah den jungen Mann aus den Augenwinkeln an. Er registrierte die leicht spitz zulaufenden Ohren, den unenglisch mongolischen Gesichtsschnitt. Die Augen, die mit boshaftem Spott hin und her tanzten. Man konnte wohl nie so ohne weiteres wissen, was Alex Restarick dachte. Ein Satyr – oder meinte er einen Faun? Ein übergewichtiger Faun, dachte Inspektor Curry plötzlich, und irgendwie hatte diese Vorstellung etwas Unangenehmes.
Ein Gauner mit Grips – so konnte man Alex Restarick charakterisieren. Intelligenter als sein Bruder. Die Mutter der beiden war angeblich Russin gewesen. »Die Russen« waren für Inspektor Curry, was Anfang des neunzehnten Jahrhunderts »Bonaparte« gewesen war – und Anfang des zwanzigsten »die Hunnen«. Alles, was mit Russland zu tun hatte, war nach Inspektor Currys Meinung schlecht, und wenn Alex Restarick Gulbrandsen ermordet hatte, würde er einen höchst zufrieden stellenden Verbrecher abgeben. Aber leider war Inspektor Curry noch keineswegs überzeugt, dass er es getan hatte.
Constable Dodgett war wieder zu Atem gekommen und sagte: »Ich hab den Vorhang bewegt, wie Sie es angeordnet hatten, Sir. Und bis dreißig gezählt. Dabei ist mir aufgefallen, dass an dem Vorhang oben ein Haken abgerissen ist. Das bedeutet, dass da eine Lücke ist. Abends würde man da von draußen Licht sehen.«
Inspektor Curry fragte Alex: »Haben Sie gestern Abend Licht in diesem Fenster gesehen?«
»Ich konnte das Haus überhaupt nicht sehen, wegen des Nebels. Das habe ich Ihnen schon gesagt.«
»Nebel reißt aber manchmal ganz unerwartet auf, hier oder da.«
»Er ist nie so dünn geworden, dass ich das Haus hätte sehen können – jedenfalls nicht das Hauptgebäude. Die Turnhalle gleich da drüben ist auf eine köstlich unstoffliche Art aus dem Nebel aufgetaucht. Es war die perfekte Illusion eines Lagerhauses am Hafen. Wie gesagt, ich inszeniere gerade ein Limehouse-Ballett und –«
»Ja, das haben Sie gesagt«, bestätigte Inspektor Curry.
»Es wird einem zur Gewohnheit, wissen Sie, die Dinge als Bühnendekoration statt als Realität zu betrachten.«
»Verstehe. Aber andererseits ist doch auch eine Bühne durchaus real, Mr Restarick. Oder etwa nicht?«
»Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen, Inspektor.«
»Na ja, das Bühnenbild besteht doch aus handfestem Material – Leinwand, Holz, Farbe, Pappe. Die Illusion liegt im Auge des Zuschauers, nicht im Bühnenbild selbst. Dieses ist, wie gesagt, durchaus real, so real hinter den Kulissen wie davor.«
Alex starrte ihn an.
»Also wissen Sie, das ist ja eine richtig tiefgründige Bemerkung, Inspektor. Das bringt mich auf eine Idee.«
»Für ein weiteres Ballett?«
»Nein, kein Ballett... Du meine Güte, womöglich hatten wir alle ein Brett vorm Kopf!«
III
Der Inspektor und Dodgett gingen über den Rasen zum Haus zurück. (Um nach Fußspuren zu suchen, sagte sich Alex. Aber da irrte er. Nach Fußspuren hatten sie schon sehr früh am Morgen gesucht, wenn auch vergebens, denn um zwei Uhr nachts hatte es stark geregnet.) Alex ging langsam die Auffahrt entlang und überdachte die Möglichkeiten seiner neuen Idee.
Von dieser Beschäftigung wurde er jedoch abgelenkt durch den Anblick von Gina, die den Weg am See entlangging. Das Haus stand auf einer leichten Anhöhe, und das Gelände fiel von dem großen, kiesbestreuten Vorplatz sanft zum See ab, der von Rhododendren und anderen Büschen umsäumt war. Alex setzte sich in Trab und holte Gina ein.
»Wenn man sich diese absurde viktorianische Monstrosität wegdenkt«, sagte er und verdrehte die Augen, »würde das einen phantastischen Schwanensee abgeben, mit dir, Gina, als Schwanenprinzessin. Allerdings siehst du mehr wie die böse Schneekönigin aus, wenn ich's mir recht überlege. Unbarmherzig, entschlossen, deinen Willen durchzusetzen, ohne Mitleid, Güte oder auch nur das geringste Mitgefühl. Du bist sehr,
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