Fata Morgana
Zeit passierte, wahr ist. Edgar, der auf dich geschossen hat. Gina und Stephen. Diese lächerliche Schachtel Pralinen. Es ist einfach alles nicht wahr.«
Keiner sagte etwas.
Caroline Louise Serrocold seufzte.
»Es sieht so aus«, sagte sie, »als hätte ich lange Zeit außerhalb der Realität gelebt... Bitte, ihr beiden, ich glaube, ich möchte jetzt allein sein.... Ich muss versuchen zu verstehen...«
II
Miss Marple kam die Treppe herunter und fand in der Großen Halle Alex Restarick vor, der an der großen, überwölbten Eingangstür stand, die Hand in einer etwas pathetischen Geste ausgestreckt.
»Nur herein, nur immer herein«, sagte Alex fröhlich, als wäre er der Eigentümer der Großen Halle. »Ich denke gerade über gestern Abend nach.«
Lewis Serrocold, der Miss Marple aus Carrie Louises Zimmer gefolgt war, durchquerte die Große Halle, ging in sein Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich.
»Versuchen Sie, das Verbrechen zu rekonstruieren?«, fragte Miss Marple mit unterdrücktem Eifer.
»Was?« Alex sah sie stirnrunzelnd an. Dann glättete sich seine Stirn. »Ach das«, sagte er. »Nein, nicht direkt. Ich habe die Angelegenheit aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet. Ich habe mir dieses Haus als ein Theater vorgestellt. Nicht Wirklichkeit, sondern Künstlichkeit! Kommen Sie bitte mal hier herüber. Denken Sie sich das Ganze als Bühnendekoration. Beleuchtung, Eingänge, Ausgänge. Personen der Handlung. Geräusche aus. Alles sehr interessant. Ich bin nicht von allein draufgekommen. Der Inspektor hat mich auf die Idee gebracht. Ich glaube, er ist ziemlich grausam. Er hat sich heute Morgen redlich Mühe gegeben, mir Angst einzujagen.«
»Und, ist es ihm gelungen?«
»Ich weiß nicht recht.«
Alex schilderte den Versuch des Inspektors mit der Stoppuhr und dem keuchenden Constable Dodgett.
»Die Zeit«, sagte er, »führt einen so schrecklich in die Irre. Man denkt, die Dinge brauchen so und so viel Zeit, aber das stimmt natürlich gar nicht.«
»Nein«, sagte Miss Marple.
Die Zuschauer darstellend, nahm sie eine andere Position ein. Das Bühnenbild bestand jetzt aus einer riesigen, mit Gobelins bedeckten Wand, die nach oben hin im Dämmer verschwand, mit einem Flügel links vorne und einem Sessel am Fenster rechts vorne. Dicht neben dem Sessel war die Tür zur Bibliothek. Der Klavierhocker stand nur etwa zweieinhalb Meter von der Tür entfernt, die in den Flur führte. Zwei sehr praktische Ausgänge! Das Publikum hatte natürlich freie Sicht auf beide...
Aber am Abend zuvor hatte es kein Publikum gegeben. Niemand, heißt das, hatte das Bühnenbild vor sich gehabt, so wie Miss Marple jetzt. Das Publikum hatte mit dem Rücken zur Bühne gesessen.
Wie lange, so fragte sich Miss Marple, würde man brauchen, um sich hinauszustehlen, den Flur entlangzulaufen, Gulbrandsen zu erschießen und zurückzukommen? Nicht annähernd so lange, wie man denken würde. In Minuten und Sekunden gemessen nur eine sehr kurze Zeit...
Was hatte Carrie Louise gemeint, als sie zu ihrem Mann sagte: »Du meinst also... Aber da liegst du falsch.«
»Ich muss schon sagen, das war eine richtig tiefgründige Bemerkung des Inspektors«, unterbrach Alex ihre Überlegungen. »Dass ein Bühnenbild real ist. Hergestellt aus Holz und Pappe und zusammengeklebt mit Leim und so real auf der unbemalten wie auf der bemalten Seite. ›Die Illusion‹, hat er gesagt, ›liegt im Auge des Zuschauers‹.«
»Wie bei den Zauberkünstlern«, murmelte Miss Marple. »Die machen das mit Spiegeln lautet, glaube ich, die Redensart.«
Stephen Restarick kam herein, leicht außer Atem.
»Hallo, Alex«, sagte er. »Diese kleine Ratte, Ernie Gregg – ich weiß nicht, ob du dich noch an ihn erinnerst.«
»Der, der in eurer Aufführung von ›Was ihr wollt‹ den Narren gespielt hat? Gar nicht unbegabt, der Junge, wie ich fand.«
»Ja, er hat ein gewisses Talent. Und er ist sehr geschickt mit den Händen. Er schreinert viel. Aber darum geht's jetzt nicht. Er hat sich Gina gegenüber gebrüstet, dass er sich nachts hinausschleicht und auf dem Grundstück herumläuft. Angeblich war er auch letzte Nacht draußen und hat etwas gesehen.«
Alex fuhr herum.
»Und was?«
»Das will er nicht sagen. Wenn du mich fragst, der will sich nur wichtig machen. Er lügt, wenn er den Mund aufmacht, aber ich hab mir gedacht, man sollte ihn vielleicht trotzdem vernehmen.«
»Ich würde ihn erst mal in Ruhe lassen«, sagte Alex. »Er soll
Weitere Kostenlose Bücher