Fatal Error
kühnsten Träume übertreffen. Die Leute könnten sich vom Internet abwenden. Die Erde könnte aufhören, sich zu drehen. In diesem Job habe ich aufgehört, auch nur einen Tag vorauszuplanen. Wir müssen einfach weitermachen und hoffen.«
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Ingrid. »Aber Guy scheint besorgt zu sein.«
»Stimmt«, sagte ich.
»Ich glaube, er verliert die Nerven.«
»Wirklich?«
»Glaubst du nicht?« Sie blickte mich scharf an.
»Doch«, gab ich zu.
»Wenn er sich nicht zusammenreißt, geht hier alles den Bach runter, bevor wir überhaupt die Chance zum Börsengang bekommen.«
»Kannst du nicht mal mit ihm reden?«, fragte ich.
»Ich glaube nicht. Unsere Beziehung ist nicht so eng.«
Ich konnte mir nicht verkneifen, eine Augenbraue hochzuziehen. Ingrid tat so, als bemerke sie es nicht.
»Was ist mit dir?«, fragte ich sie. »Machst du dir Sorgen? Du wirkst immer so souverän.«
»Tatsächlich? Ich fühle mich durchaus nicht souverän. Ja, ich mache mir Sorgen. Natürlich war bei Ninetyminutes schon immer alles ungewiss. Damit habe ich gerechnet, als ich eingestiegen bin. Es war ganz anders als bei den Großunternehmen, an die ich gewöhnt war, mit ihren ausgefeilten Prognosen und Budgets. Und in den letzten neun Monaten hat mich die Sache richtig gepackt. Nach dem Börsengang hätte mein Anteil drei Millionen Pfund betragen. Das ist richtiges Geld. Und das ist der eigentliche Grund, warum ich zu Ninetyminutes gekommen bin. Aber es ist ziemlich frustrierend, so viel Geld so dicht vor der Nase zu haben, und plötzlich ist alles weg. So eine Chance bekomme ich vielleicht nie wieder.«
»Wahrscheinlich keiner von uns.«
»Ich will nicht darauf verzichten, David. Wir sind so nahe dran.«
Sie musste die Überraschung in meinem Gesicht gesehen haben.
»Was ist? Du siehst schockiert aus.«
»Oh, tut mir Leid. Ich wusste nicht, dass Geld für dich so wichtig ist.«
»Für dich nicht? Und für Guy?«
»Schon«, sagte ich. »Aber von Guy wusste ich es. Und von mir auch. Ich dachte, dir ginge es eher um das Abenteuer. Ich dachte, du brauchtest dir um Geld keine Gedanken zu machen.«
»Weil ich wohlhabende Eltern habe?«
»Ja,«, sagte ich.
»Reiche Eltern lösen nicht alle Probleme. Frag Guy.«
»Ich glaube, das wird mir allmählich klar.«
»Der Job macht Spaß, das stimmt. Und ich werde auch nicht verhungern. Aber von meinem Vater würde ich nie mehr als ein Taschengeld bekommen. Und ich will auch nicht mehr. Ich muss es aus eigener Kraft schaffen und finde das völlig okay. Bisher bin ich auch gut zurechtgekommen. Ich habe einen prima Ruf in der Branche. Jede große Zeitschrift hier oder woanders würde mich mit Kusshand nehmen. Gutes Gehalt, gute
Aussichten. Im Zeitschriftengewerbe kannst du es als Frau weit bringen. Aber als reiche Frau kannst du es eben noch weiter bringen.«
»Was hast du vor, wenn du deine drei Millionen bei Ninetyminutes kriegst? Dich in Südfrankreich zur Ruhe zu setzen?«
»Auf keinen Fall. Ich würde bei Ninetyminutes so lange wie nötig bleiben, aber dann wahrscheinlich meine eigene Zeitschrift gründen. Vielleicht auch eine Website. Mit meinem eigenen Geld statt mit dem eines anderen.«
Das leuchtete mir ein. Ingrid hatte auf mich immer den Eindruck gemacht, sie nehme das Leben nicht besonders ernst, aber es gab keinen Grund, warum sie nicht auch auf die Millionen hoffen sollte, genau wie Guy und ich. Und sie hatte dafür viel handfestere Gründe als wir. Für Ingrid war Ninetyminutes eine rationale, wenn auch riskante Karriereentscheidung gewesen, ein Weg zu einem klaren Ziel, das sie sich gesetzt hatte. Sie wusste, wer sie war und was sie wollte. Guy und ich mussten es beide noch herausfinden.
»Hoffen wir, dass du deine Chance bekommst«, sagte ich. »In der Zwischenzeit können wir nur abwarten und beten.«
»Sag das Guy.«
Eine Woche einschneidender Maßnahmen. Budgets kürzen, die Filialleiter unterrichten, Amy beruhigen. Den größten Teil dieser Aufgaben erledigte ich. Guys Begeisterung schien vollkommen verflogen. Er wirkte kraft- und mutlos. Zwar kam er jeden Tag ins Büro, war aber kaum von Nutzen. Seine plötzliche Lethargie lahmte das ganze Team. Wir hatten uns alle daran gewöhnt, auf seine Zuversicht und Ermutigung zu bauen und uns von ihm zu scheinbar unmöglichen Aufgaben motivieren zu lassen. Ohne ihn schienen die Wege steiler und die Berge höher geworden zu sein.
Ehrlich gesagt ärgerte mich das. Es war ein denkbar schlechter
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