Fatal Error
Start-ups schaffen es nicht, das wusste ich. Das Internet war größtenteils Hype, auch das wusste ich. Ich war Banker, kannte mich in meinem Job aus und war für gute Arbeit bekannt. Daher konnte ich die Risiken aufzählen und den Finger auf die Schwachstellen legen. Das war kein Geschäft, auf das sich Gurney Kroheim, pardon, Leipziger Gurney Kroheim, eingelassen hätte. Wenn ich vernünftig war, würde ich das Angebot höflich ablehnen.
Ich legte den Bericht zur Seite, trank meinen Cappuccino und beobachtete die immer dichter werdende Menge, die sich draußen über den Bürgersteig schob. Der Haken an der Sache war, dass ich gegenwärtig keine Lust hatte, Banker zu sein. Guy sprach über einen Traum, über den Funken einer Idee, aus der eine Vision werden konnte, dann eine kleine Gruppe hoch motivierter Leute, ein richtiges Unternehmen und schließlich ... wer wusste schon?
Eine Marktchance gab es zweifellos. In den 1990er Jahren hatte sich der britische Fußball in eine Gelddruckmaschine verwandelt. Schuld daran waren die
Umwandlung der First Division in die Premier League, der Börsengang einiger Vereine und vor allem die enormen Investitionen privater Fernsehsender. Jeder wusste, dass das Internet alles verändern würde, wenn auch noch nicht genau, wie. Guys Plan, aus dieser Chance Kapital zu schlagen, erschien durchaus sinnvoll. Hätte ich als gewissenhafter Gurney-Kroheim-Banker Bill Gates einen Kredit bewilligt? Oder Richard Branson? Oder einem der Milliardäre, die im Silicon Valley überall aus dem Boden schossen? Nein. Weil David Lane, Vizepräsident Projektfinanzierung, für Visionen und Phantasien dieser Art keinen Sinn hatte.
In Broadhill hatte ich Gelegenheit gehabt, als Zaungast einen Blick in eine Reihe aufregender Lebensverhältnisse zu werfen. Die Kinder von Schauspielern, Sportstars, millionenschweren Unternehmern vermittelten mir eine Ahnung davon, dass das Leben mehr zu bieten hatte als einen Beruf, eine Frau und eine Hypothek. An der Uni verengte sich die Perspektive wieder. Mein Examen fiel in eine Zeit der Rezession, als die besten und begabtesten Absolventen um die wenigen Jobs als Wirtschaftsprüfer konkurrierten. Ich beteiligte mich an diesem Wettbewerb, hatte Erfolg und bekam ein Stipendium am Institut für Wirtschaftsprüfer. Anschließend trat ich bei einer Handelsbank ein. Die City hatte glänzende Karrieren zu bieten, gewiss, aber nicht in der Abteilung für Projektfinanzierung bei Gurney Kroheim. Zwar konnte ich reisen und fand die Arbeit interessant, aber wohin führte das? Zu einer Frau, die bisher noch auf sich warten ließ, und einer Hypothek auf ein Haus in einem langweiligen Vorort? War das so schlecht? War es nicht das, wofür ich seit Beendigung der Schule gearbeitet hatte?
Guy hatte Recht, es würde Spaß machen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Zwar hatten wir uns in Frankreich
nicht besonders gut verstanden, auch später in London nicht, als er ein angehender Schauspieler und ich ein in Bälde diplomierter Wirtschaftsprüfer war. »Nicht
besonders gut« war sehr beschönigend. Trotzdem reizte mich der Gedanke, die nächsten Jahre mit ihm zu
verbringen. Natürlich hatte er mich in der Vergangenheit enttäuscht, natürlich kam er aus einer ganz anderen Welt, aber genau das war es. Ich konnte ihm die Stabilität geben, die er brauchte, und er konnte mir, nun ja, Aufregung liefern. Theoretisch führte meine Karriere zwar stetig bergauf, tatsächlich aber sah es ganz und gar nicht so aus. Weit eher schien sie nirgendwo hinzuführen. Mit Guy würde endlich etwas passieren. Etwas, das frischen Wind in mein Leben bringen würde. Ob zum Guten oder Schlechten, wusste ich nicht. Aber ich wollte es herausfinden.
Es gibt eine Prämisse, die fast jeder Finanztheorie
zugrunde liegt: Ein vernünftiger Investor vermeidet
Unsicherheit. In diesem Augenblick empfand ich ganz und gar nicht wie ein vernünftiger Investor.
Ich trank meinen Cappuccino aus und schlenderte langsam in Richtung Büro. Auf beiden Seiten wurde ich von Kollegen überholt, die es eiliger hatten als ich, an ihren Schreibtisch zu kommen.
Als man das Bürohaus in den 1960er Jahren in der Gracechurch Street gebaut hatte, war Gurney Kroheim eine einflussreiche Bank in der City gewesen. Seither hatte sich seine Bedeutung auf null reduziert. Als ich durch die Eingangshalle ging, suchte mein Blick instinktiv nach Frank, dem Portier, der diesen Eingang seit meinem ersten Tag in der Firma - und schon einige Jahrzehnte
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