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Fatal Error

Titel: Fatal Error Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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zuvor -bewacht hatte. Sein Gedächtnis für Namen und Gesichter war legendär und stellte jede Datenbank in Personal- oder Marketingabteilungen in den Schatten. Doch vor einer  Woche war er pensioniert und durch einen schwarzen Sheriff mit Tätowierung und Ohrring ersetzt worden, der aussah, als hätte er seine letzten Jahre nicht als Wache, sondern unter Bewachung verbracht.
    Auch das dritte Stockwerk, mein Stockwerk, hatte sich im letzten Jahr verändert. Die Abteilung für Projektfinanzierung bestand jetzt aus vier Schreibtischen, die man am Ende eines größeren Bereichs zusammengeschoben hatte. So war eine neue Einheit für Sonderfinanzierung entstanden, in der Spezialteams für die Finanzierung von Schiffen, Flugzeugen, Filmen, kommunalpolitischen Projekten sowie Öl und Gas eine ungeliebte Koexistenz führten. Früher einmal hatte Gurney Kroheim auf allen diesen Gebieten eine führende Rolle gespielt. Doch seit der Fusion waren die meisten der guten Leute gegangen und nicht durch Deutsche, sondern entweder durch Neueinstellungen oder Mitarbeiter einer zweitklassigen US-Investmentbank ersetzt worden, die Leipziger einige Monate nach Gurney Kroheim geschluckt hatte. Meine eigene Gruppe, Projektfinanzierung, hatte einmal aus zehn Leuten bestanden. Die besten sechs waren gegangen, sodass jetzt nur noch mein netter, aber unfähiger Chef Giles und eine Rumpfmannschaft von drei Personen übrig waren. Seit einem halben Jahr hatten wir kein Geschäft mehr abgeschlossen.
    Ich fuhr meinen Rechner hoch und machte mich, da ich meinen Kaffee schon getrunken hatte, gleich an die Arbeit. Die »Arbeit« war eine riesige Tabellenkalkulation, ein Computermodell all der Ströme von Gas, Dampf, Elektrizität und Geld in einem geplanten Kombikraftwerk in Kolumbien. Das Modell war ein Ungetüm, das buchstäblich aus Tausenden von Zahlen bestand, die alle miteinander verbunden waren und dem Versuch dienten, sämtliche Variablen zu erfassen, die beim Bau, der
    Finanzierung und dem Betrieb des Kraftwerks eine Rolle spielten. Den Grundstein zu dem Modell hatte ich vor einem halben Jahr auf meinem Laptop gelegt, als wir die Schweizer Firma besucht hatten, die sich an der Ausschreibung zum Bau des Werkes beteiligte. Seither wucherte das Ungetüm - wucherte, ohne meiner Kontrolle zu entgleiten. Jemand wollte den Wechselkurs von Dollar und Peso für 2002 verändern? Ich konnte es. Ein Ölpreisrückgang im Jahr 2005? Kein Problem. Ein Kredit in Schweizer Franken mit Festsatz statt in zinsvariablem Dollar? Ich brauchte eine Minute, um sechs Seiten mit Analysen der Ergebnisse auszudrucken.
    Nachdem ich schon so lange an diesem Computermodell arbeitete, hatte ich ein sicheres Gefühl für die Schlüsselvariablen des Projekts entwickelt - für die Risiken, die eine Rolle spielten, und die Risiken, die es nicht taten. Giles und ich hatten, wie wir glaubten, eine hochintelligente Finanzstruktur entwickelt, die unserem Klienten ermöglichen würde, den Auftrag mit dem niedrigsten Angebot zu bekommen, das möglich war.
    Giles betrat die Szene - rosa Hemd, greller Schlips und Nadelstreifenanzug unter einem stumpfen Hirn.
    »Morgen«, sagte ich.
    »Oh, hallo, David«, sagte er nervös.
    Ich sah ihn scharf an. Vorgesetzte sollten nicht nervös sein, auf jeden Fall nicht um halb neun morgens.
    Sein Blick wich mir aus und wanderte zu seinem Computer.
    »Giles?«
    »Ja?«
    »Was ist los?«
    Er sah mich an, blickte wieder auf seinen Computer, erkannte, dass von dort keine Hilfe zu erwarten war, und ließ die Schultern hängen.
    »Giles?«
    »Sie haben ihr Angebot zurückgezogen.«
    »Was soll das heißen?«
    »Die Schweizer haben ihr Angebot zurückgezogen. Sie sind davon überzeugt, dass sie den Auftrag nicht kriegen. Offenbar haben die Amerikaner die besten Partner vor Ort, und unsere Jungs haben das Vertrauen in ihre eigenen Leute verloren. Du weißt ja, wie es in Kolumbien zugeht.«
    »Ich glaub’s einfach nicht.« Ich starrte auf meine Tabellenkalkulation, auf die Ordner, die sich einen Meter hoch und einen halben Meter breit neben meinem Schreibtisch stapelten. »Wir lassen das Projekt also einfach fallen?«
    »Tut mir Leid, David. Du weißt, wie es ist. Wir kriegen nur Geld, wenn wir einen Gewinner unterstützen.«
    »Also hatte ich Recht. Erinnerst du dich an Basel? Ich hab dir gleich gesagt, dass mit denen was nicht stimmt. Die hatten nie die ernsthafte Absicht, ein Angebot zu unterbreiten.«
    »Das wissen wir nicht. Hör zu, mir ist klar, dass

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