Fatal - Roman
Dame doch nicht nur eine Wichtigtuerin.
Marcelo parkte in zweiter Reihe. »Bringen wir das hier zuerst hinter uns.«
»Okay.« Ellen griff nach ihrer Handtasche. Beide sprangen gleichzeitig aus dem Wagen. Sie rannten durch den matschigen Schnee zu ihrem Haus. Die Reporter hasteten hinterher. Sie fuchtelten mit ihren Mikrofonen, hielten ihre Videokameras hoch und riefen ihnen Fragen zu.
»Ellen, wer hat dir gesagt, wer dein Sohn wirklich ist?« »Ellen, wann gibst du ihn zurück?« »El, wie ist das FBI hinter die Geschichte gekommen?« »He, Marcelo!« »El, gib uns ein Interview!« »Marcelo, halte sie auf! Du bist doch einer von uns!«
Ellen hastete die Verandatreppe hoch. Marcelo folgte ihr und hielt ihr die zudringlichsten Reporter vom Leib. Connie öffnete die Haustür.
»Connie!«, rief Ellen. Es klang wie ein Klagelaut, nicht wie eine Begrüßung. Die beiden Frauen fielen einander in die Arme.
87
Nachdem Marcelo gegangen war, setzten sich Ellen und Connie ins Wohnzimmer. Während des Redens brachen sie immer wieder in Tränen aus. Will war nicht mehr da.
»Ich kann es immer noch nicht glauben«, sagte Connie mit belegter Stimme. »Es ist unvorstellbar.«
»Ja. Unvorstellbar.« Ellen streichelte Oreo Figaro, der auf ihrem Schoß saß.
»Ich hoffe, es macht dir nichts aus. Ich war heute Morgen schon hier. Ich bin in sein Zimmer gegangen und habe mir all seine Spielsachen und Bücher angesehen.« Connie seufzte. »Dann habe ich die Bücher zurück aufs Regal gestellt, wie ich es immer getan habe. Die Tür zu seinem Zimmer habe ich abgeschlossen. War das richtig?«
»Das war richtig. Alles, was du tust, ist richtig.«
Connie lächelte traurig. Sogar ihr Pferdeschwanz sah heute traurig aus. »Ich habe ihm viel zu wenig vorgelesen. Viel zu wenig.«
»Du hast ihm oft vorgelesen.«
»Aber nicht genug. Du hast es mir ja manchmal gesagt.« Connie sah ihr in die Augen und warf den Kopf zurück. »Das war doch deine Meinung, oder?«
»Eine bessere Betreuerin als dich hätte ich mir nicht wünschen können.«
»Wirklich?« Connie trocknete ihre Tränen.
»Wirklich. Ich bin dir unendlich dankbar. Ohne dich hätte ich meinen Beruf nicht ausüben können. Und das Geld habe ich gebraucht. Für Will und für mich.«
»Das hört man gern.«
»Es ist die Wahrheit. Das hätte ich dir viel früher schon einmal sagen sollen.« Ellen kratzte Oreo Figaro hinter dem Ohr, der zu schnurren begann. »Manchmal war ich eben ein bisschen eifersüchtig.«
»Auf wen?«
»Auf dich. Du hattest ihn so viele Stunden. Wie nah ihr euch wart. Du hast ihn gern gehabt, und er hat dich gern gehabt. Ab und zu habe ich das als eine Bedrohung empfunden.«
Connie sagte nichts. Sie hörte nur zu. Die Sonne schien jetzt so hell durch die Wohnzimmerfenster, dass sie blendete. Ellen wusste nicht, warum sie Connie diese Gefühle eingestand. Aber sie musste es tun.
»Das tut mir sehr leid. Ich habe immer gedacht, je mehr Liebe er bekommt, desto besser für ihn. Ja, so habe ich es gesehen. Und wir beide haben ihn mit Liebe überschüttet.«
Ellen standen wieder Tränen in den Augen. Sie blinzelte sie weg. »Ich habe immer gedacht, ein Kind ist wie ein Wasserglas. Wenn du zu viel Liebe hineinschüttest, läuft es über. Aber Kinder sind wie das Meer. Ihr Verlangen nach Liebe ist unendlich.«
Connie schniefte. »Ich glaube, du hast recht. Aber etwas muss ich dir noch sagen. Will mag mich geliebt haben, aber er hat immer gewusst, wer seine Mutter ist. Den Unterschied zwischen dir und mir hat er nie vergessen.«
»Meinst du?«, fragte Ellen. Connies Worte taten weh.
»Ich weiß es ganz sicher. Ich bin mein ganzes Leben lang Kindermädchen gewesen. Die Kinder wissen immer, wer ihre Mutter ist. Immer.«
»Danke dir.« Ellen stand langsam auf, ihre Gelenke
schienen plötzlich steif geworden zu sein. »Ich sehe mich mal in der Küche um.«
»Nein«, sagte Connie in entschiedenem Ton. »Ich war da drin, und mir ist schlecht geworden. Du gehst da nicht rein.«
»Aber ich wohne hier. Einen Umzug habe ich mir schon lange aus dem Kopf geschlagen.«
Im Esszimmer herrschte immer noch Unordnung. In ihrer Vorstellung sah sich Ellen wieder mit Carol auf dem Boden liegen, während Rob Moore das Gewehr auf sie richtete.
»Die Polizei hat den Tatort zwar freigegeben, aber ich habe mich nicht getraut, die Stühle wieder aufzustellen.«
»Das mach ich schon.« Ellen hob einen Stuhl auf, dann den nächsten und stellte beide wieder an ihren Platz. Sie
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