Fatal - Roman
wieder?«
Erneut meldete sich Ellens Gewissen. »Sobald ich Zeit
habe. Warum warst du beim Arzt? Ich mache mir Sorgen.«
»Es gibt jetzt Mittagessen.«
»Das sehe ich. Du weichst meiner Frage aus.«
»Setz dich hin wie ein wohlerzogener Mensch.« Ihr Vater stellte den Teller mit den Tomaten auf den Tisch und ließ sich mit einem lauten Ächzen auf den Stuhl fallen. Er liebte es, aus Spaß zu jammern. Dabei sah er sehr rüstig und fit aus in seinen schicken Slippern und dem zartgelben Polohemd.
»Dad, jetzt rede schon.« Ellen machte sich Sorgen. Krebs war die heimtückischste aller Krankheiten. Er schlich sich an, ohne dass man etwas merkte. Ihre Mutter war an Lymphknotenkrebs gestorben. Nach der Diagnose hatte sie nur noch drei Monate gelebt.
»Ich bin nicht krank. Was soll das?« Er befreite das Brot aus seiner Plastikhülle, nahm sich zwei Scheiben aus der Mitte des bereits aufgeschnittenen Laibs und legte sie nebeneinander auf seinen Teller.
»Warum bist du dann zum Arzt gegangen?«
»Mach dir auch ein Sandwich. Danach reden wir.«
»Dad, ich bitte dich.«
»Ganz wie du willst, aber ich habe Hunger.« Ihr Vater zog die Plastikfolie vom Tunfisch, nahm sich ein kleines Stück, legte es aufs Brot und begann das rötliche Fleisch mit den Zinken der Gabel zu bearbeiten.
»Was soll das Zeitschinden, Dad? Warum zerfledderst du den ganzen Fisch?«
»Okay, hier ist die Wahrheit: Ich heirate.«
»Was?«, sagte Ellen entgeistert. »Und wen?« Sie hatte keine Ahnung. Sie wusste allerdings, dass er trotz seiner
vergrößerten Prostata den Romeo spielte und sich abwechselnd mit vier Damen traf.
»Barbara Levin ist die Glückliche.«
Ellen war baff. Sie kannte diese Frau nicht. Ihre Eltern waren fünfundvierzig Jahr verheiratet gewesen, ihre Mutter war erst vor gut zwei Jahren gestorben. Mit dieser Heirat würde sie endgültig begraben und vergessen sein. Es kam Ellen vor, als sollte plötzlich ein wesentlicher Teil ihres Lebens ausradiert werden.
»El? Ich sterbe nicht, ich heirate.«
»Warum denn? Ist sie schwanger?«
»Ha!« Ihr Vater lachte und stach mit der Gabel in den Tunfisch. »Das muss ich ihr erzählen.«
Ellen verbarg ihre Abneigung gegen den Heiratsplan. »Ich bin … überrascht.«
»Und zwar positiv, oder?«
»Ja, schon.« Sie versuchte, sich zusammenzunehmen, aber es gelang ihr nicht sonderlich gut. »Mir ist nur nicht klar, wen genau du heiraten wirst.«
»Ich heirate Barbara. Die anderen kommen nicht infrage.« Er nahm sich mit der Gabel eine Tomatenscheibe. »Gratulierst du mir nicht?«
»Natürlich gratuliere ich dir.«
»Ich brauchte einen Bluttest. Deshalb war ich beim Doktor.«
»Mir fällt ein Stein vom Herzen. Du bist nicht krank.«
»Natürlich nicht.« Ihr Vater legte die Tomatenscheibe auf den Tunfisch, darüber eine Scheibe Brot, presste das Sandwich zusammen und taxierte es wie ein Golfer den Ball vor dem entscheidenden Schlag. Dann blickte er zu ihr. »El, du siehst nicht glücklich aus.«
»Bin ich aber.« Es gelang ihr, zu lächeln. Sie liebte ihren Vater, aber während ihrer Kindheit war er immer unterwegs gewesen. Deshalb hatte sie zu ihrer Mutter eine engere Beziehung gehabt.
»El, ich habe ein Recht darauf, glücklich zu sein.«
»Ich habe nichts Gegenteiliges behauptet.«
»Aber du verhältst dich so.«
»Dad, ich bitte dich.«
»Ich werde auch nicht jünger, und ich will nicht mehr allein sein.«
Betretenes Schweigen folgte. Ellen machte keine Anstalten, die Situation zu entkrampfen. Ein abscheulicher Gedanke kam ihr: Der falsche Elternteil war gestorben. Aber gleich darauf schämte sie sich dafür. Sie liebte ihren Vater.
»Ich hätte mir denken können, dass es dir nicht gefällt. Du und deine Mutter. Eine verschworene Gemeinschaft. Immer wart ihr einer Meinung.«
Ellen erwiderte nichts. Tatsächlich war ihre Mutter ihre beste Freundin gewesen.
»Das Leben geht weiter.«
Ellen spürte ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust. Tapfer sagte sie: »Wo findet die Hochzeit statt? Ich brauche ein neues Kleid.«
»Wir heiraten in Italien.«
»In Italien? Warum?«
»Barbara gefällt es dort. Wir heiraten in der Nähe von Positano.« Ihr Vater schnitt das belegte Brot durch, fing an zu essen und überließ es Ellen, sich den Rest zu denken.
»Sind Will und ich eingeladen?«
»Tut mir leid, nein. In unserem Alter macht man keine große Sache daraus. Man tut es einfach ohne großes Brimborium. Wir fliegen Ende der Woche.«
»Wow. So bald?«
»Ich habe ihr
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