Fatal - Roman
gesagt, dass es für dich kein Problem sein wird. Ihre Tochter ist auch einverstanden.«
»Ich verstehe.« Ellen versuchte, gelassen zu bleiben. »Hiermit erkläre ich, dass ich kein Problem damit habe.«
»Ihre Tochter heißt Abigail. Sie ist ein Jahr älter als du.«
»Ich dachte, sie hat einen Sohn, der beim Peace Corps arbeitet.«
»Das war Janet.«
»Oh. Pardon.« Ellen lächelte. Irgendwie war das Ganze auch komisch. »Ich wollte schon immer eine Schwester haben. Bekomme ich auch noch ein Pony dazu?«
Jetzt lächelte auch er.
»Und was macht meine neue Schwester beruflich?«
»Sie ist Anwältin in Washington D. C.«
»Eine Anwältin als Schwester habe ich mir immer gewünscht.« Beide lachten.
»Jetzt reicht’s aber, du Luder.«
»Ich finde es gut, dass du wieder heiratest. Ehrlich.« Sie fühlte sich besser, nachdem sie es gesagt hatte. Auch das Ziehen in der Brust ließ ein bisschen nach. »Werde glücklich, Dad.«
»Ich liebe dich, meine kleine Maus.«
»Ich dich auch.« Ellen gelang ein Lächeln.
»Du isst doch was mit?«
»Nein, ich warte auf die Hochzeitstorte.«
Er verdrehte die Augen.
»Und wie sieht sie aus? Raus mit der Sprache.«
»Warte. Ich zeige dir ein Foto.« Er zog seine braune Brieftasche aus der Gesäßtasche und öffnete sie. In einem Fach steckte ein altes Bild von Will. Aus einem anderen Fach zog er ein Foto und schob es Ellen hin. »Das ist Barbara.«
»Nicht schlecht.« Barbara war eine attraktive Frau mit raffiniert geschnittenem, kurzem Haar.
»Gib sie mir wieder.« Er lächelte und steckte die Brieftasche wieder ein.
»Sie sieht nett aus. Ist sie es auch?«
»Natürlich ist sie das. Was denkst du denn! Ich heirate doch keine blöde Ziege.«
»Zieht sie bei dir ein, oder ziehst du zu ihr?«
»Ich verkaufe das Haus und ziehe zu ihr. Sie hat eine Eckbank in der Küche und vor dem Haus eine Veranda.«
»Du bist ein Glückspilz.«
Er lächelte wieder, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete seine Tochter nachdenklich. »Auch du solltest nicht allein bleiben.«
Da war es wieder, das Ziehen in der Brust. Zeit also, das Thema zu wechseln. »Ich habe heute die Frau interviewt, deren Mann ihre Kinder entführt hat. Susan Sulaman. Erinnerst du dich? Ich habe darüber geschrieben.«
Er schüttelte den Kopf. An solche Dinge erinnerte er sich nie. Ihre Mutter dagegen hatte alle Artikel, die Ellen schrieb, sorgfältig gelesen, ausgeschnitten und in Alben geklebt. Die Ersten stammten noch aus der College-Zeitung. Drei Wochen vor ihrem Tod hatte sie mit dem Sammeln aufgehört.
»Susan behauptet, dass alle Mütter einen Mutterinstinkt haben.«
»Deine Mutter hatte ihn jedenfalls«, sagte er strahlend. »Schau nur, was für ein Prachtstück aus dir geworden ist. Das verdankst du alles ihrem Instinkt.«
»Warte, ich möchte dir etwas zeigen.« Ellen stand auf und holte das Babyfoto von Timothy Braverman aus ihrer Handtasche. »Ist das nicht ein süßes Baby?«
»Sehr süß.«
»Kennst du es?«
»Hältst du mich für blöd? Das ist Will.«
Ellen hatte einen Moment das Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Sollte sie ihm die Wahrheit sagen? Er und Sarah hatten Timothy für Will gehalten. War das nur merkwürdig oder schon beängstigend? Unbehagen stieg in ihr auf. Sie vermisste ihre Mutter. Mit ihr hätte sie über Timothy Braverman sprechen können. Ihre Mutter hätte gewusst, was zu tun war.
»Er ist seitdem ganz schön gewachsen«, sagte ihr Vater mit unverkennbarem Stolz.
»Äh, ja. Ich meine, wie hat er sich verändert?«
»Schau, die Stirn.« Er tippte mit seinem arthritischen Zeigefinger auf das Foto. »Seine Stirn ist viel breiter geworden. Jetzt hat er schon richtig volle Wangen.« Er gab ihr das Foto zurück. »Wenn ein Kind wächst, wächst das Gesicht mit.«
»Du hast recht.« Ellen steckte das Foto in ihre Handtasche und setzte sich wieder zu ihrem Vater. Er schenkte ihnen beiden Tee ein. Mit seinen Gedanken schien er woanders zu sein.
»Du sahst genauso aus, genauso. Als du klein warst, war
dein Gesicht genauso breit. Ich habe immer gesagt: Meine Tochter hat ein Gesicht wie eine Salatschüssel. Und Will hat dieses Gesicht von dir geerbt.«
»Dad, ich habe ihn adoptiert. Schon vergessen?«
»Oje!« Ihr Vater lachte. »Du bist eine so gute Mutter, dass ich immer denke, du hättest ihn auch zur Welt gebracht.«
Sie schwieg.
»Den Mutterinstinkt hat dir deine Mutter vererbt. Du bist bis in die kleinste Faser ihre
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