Fatal - Roman
Vergleich zu dem Raum, in dem Muskos mattglänzender Schreibtisch aus Walnussholz stand. Außerdem enthielt sein Arbeitszimmer einen kastanienbraunen Ledersessel mit Messingbeschlägen, wandhohe eingebaute Bücherregale mit Fachbüchern über das Ingenieurwesen, Fotos von Golfturnieren und eingerahmte Bilder der drei flachsblonden Söhne. Von Karen gab es kein Foto.
Die drei Kartons auf dem Schreibtisch weckten Ellens Zuversicht. Auf dem Ersten stand: »Oberste Schublade«. Sie empfand es als etwas indiskret, Karens Schreibtisch zu
durchwühlen, aber sie hatte keine andere Wahl. Als sie den Deckel geöffnet hatte, sah sie Kugelschreiber, Bleistifte, Notizblöcke, ein Lineal, einen ledernen rosafarbenen Zeitplaner, ein paar Münzen und einen Lippenstift. Auf einem Notizblock erkannte sie Karens ordentliche Handschrift mit den freistehenden Großbuchstaben wieder. Ihre schöne Schrift verdanke sie der Klosterschule, in der sie gewesen war, hatte ihr Karen einmal im Spaß gesagt.
Seltsam.
Ellen war nichtpraktizierende Katholikin, aber sie wusste, dass Selbstmord für gläubige Katholiken nicht infrage kam. Was hatte Karen wohl in den Selbstmord getrieben? In diesem Karton waren keine Akten. Sie öffnete den nächsten, auf dessen Deckel »Zweite Schublade« stand.
Sie wühlte sich durch weitere Notizblöcke, Scheckhefte, Telefonrechnungen, alte Filofax-Bogen, die mit Gummibändern zusammengehalten wurden, und Beitragsbelege für diverse Anwaltskammern. Wieder keine Mandantenakten. Ellen war beunruhigt. Nur noch ein Karton war übrig. Ihr fiel ein, was ihr Vater einmal gesagt hatte:
Warum ist das Ding, das du suchst, immer an dem Ort, an dem du als Letztes gesucht hast? Weil du nicht weitersuchst, wenn du das Ding endlich in deinen Händen hältst.
Sie öffnete den Karton und sah hinein: ein Durcheinander von Rechnungen, Zahlungsbelegen, Memos von juristischen Fortbildungskursen und noch mehr Notizblöcke. Sie kramte weiter. Plötzlich war da etwas, das ihr bekannt vorkam: ein Brief Karens an sie selbst, in dem es um die Anhörung zu Wills Adoption ging.
Bingo!
Ihr Herz begann schneller zu schlagen, und sie suchte weiter, bis sie auf eine ausgedruckte E-Mail stieß, die von ihr stammte und in der sie Fragen zum Adoptionsverfahren stellte. Weiter unten lag eine Zeitungsseite mit ihrem Artikel über Wills Adoption. HAPPY END lautete die Überschrift, rechts davon das Foto des kranken Jungen. Ganz unten im Karton schließlich ein Ordner. Sie nahm ihn heraus und las die Beschriftung.
»Gleeson, Ellen.«
»Geschafft!« Sie öffnete ihn erwartungsvoll, aber dann stellte sie fest, dass fremde Papiere in dem Ordner eingeheftet waren, die nicht zu ihrem Fall gehörten.
»Sind sie fündig geworden?«, fragte Musko. Er stand in der Tür, hatte Sakko und Krawatte ausgezogen und die Hemdsärmel hochgekrempelt. Müde ließ er sich in den Ledersessel fallen.
»In gewisser Weise schon.« Ellen hielt den Aktenordner hoch. »Das ist mein Ordner, aber meine Papiere sind überall verstreut.«
»Das ist typisch Karen. Sie war nicht der ordentlichste Mensch der Welt. Um die Wahrheit zu sagen, sie war eine ziemliche Schlampe.«
Rede keinen Unsinn. »Die Akten in der Garage sahen sehr ordentlich aus.«
»Dafür hat ihre Sekretärin gesorgt. Die beiden haben sich sehr gut ergänzt.« Musko griff nach dem Zeitungsartikel, den sie noch in der Hand hielt, und sah ihn sich an. »Kurz nach dem Erscheinen dieses Artikels war sie tot.«
»Wann starb sie, wenn ich fragen darf?«
»Am dreizehnten Juli.« Muskos Lächeln verschwand, und die Falten um seinen Mund wurden tiefer. »Ihre Sekretärin
fand sie tot am Schreibtisch, als sie zur Arbeit kam.«
»Also ungefähr einen Monat später. Wills Adoption war am fünfzehnten Juni. Zwei Wochen später erschien der Artikel.« Ellen machte eine Pause, sie war verwirrt. »Ich verstehe nicht, wieso ich nichts von ihrem Tod mitbekommen habe. Ich habe meine Rechnung bezahlt, aber es gab keinen Brief von ihrem Büro. Ich habe auch keine Todesanzeige gesehen.«
»Ich hatte keine aufgegeben. Ich wollte keinen Aufruhr, der Kinder wegen. Die Beerdigung fand im engsten Familienkreis statt. Die Nachbarn stellten zwar dumme Fragen, ich habe ihnen aber nichts erzählt.« Musko deutete auf die Tür. »Ich habe den Jungen bis heute nicht gesagt, wie sie gestorben ist. Sie glauben, sie wäre krank gewesen.«
»Haben sie keine Fragen gestellt?«, fragte Ellen überrascht. Sie dachte an Will, der sie
Weitere Kostenlose Bücher