Fatal - Roman
fehlte:
»19 Uhr 15: A«
Ellens Neugier war geweckt. Ein Treffen mit einem Mandanten am Abend? Vielleicht verbarg sich hinter »A« Karens Geliebter? Sie sah in der Woche davor nach: kein A. Aber eine Woche weiter zurück - am achtundzwanzigsten Juni, wieder an einem Mittwoch, zur gleichen Zeit:
»19 Uhr 15: A«
Sie blätterte noch weiter zurück. Am Mittwoch, dem vierzehnten Juni, wieder:
»21 Uhr 30: A«
Sie dachte nach. Am fünfzehnten Juni, also einen Tag später, hatte das Gericht ihre Adoption genehmigt. Sie durchforstete alle Wochen vor diesem Termin: keine Treffen mehr mit A. Sie überlegte. Wann hatte Amy Martin ihren Brief geschrieben? Sie sah nach: fünfzehnten Juni.
Am vierzehnten Juni hatte sich Karen mit A getroffen, einen Tag später hatte Amy Martin ihr geschrieben. Ellen rechnete eins und eins zusammen: A war nicht Karens Freund, A stand höchstwahrscheinlich für Amy.
Sie ließ sich in einen Sessel sinken, ihre gute Laune war dahin. Dann nahm sie sich den Brief noch einmal vor. Von »unserem Treffen« war darin die Rede. Karen hatte sich also mit Amy getroffen. Amys Name war aber im Terminplaner nie aufgetaucht. Ellen überprüfte noch einmal alle Seiten. Nein. Weder Treffen mit Amy Martin noch mit Charles Cartmell waren eingetragen worden.
Sie legte den Kalender aus der Hand und trank noch einen Schluck. Der Wein schmeckte bitter. Sie wusste, was sie morgen früh als Erstes zu tun hatte. Sie brauchte Klarheit, sonst würde sie noch wahnsinnig werden.
»Warum kann ich die Finger nicht davon lassen?«, fragte sie grübelnd.
Oreo Figaro blinzelte sie an. Das war seine Antwort.
24
Wie früh konnte sie Amy Martin wohl anrufen? Diese Frage stellte sich Ellen am nächsten Morgen, als sie den Mantel anzog. Will hatte kein Fieber mehr. Er tobte mit einem Football, den Connie ihm mitgebracht hatte, durchs Wohnzimmer. Ellen wollte nicht, dass er zu viele Spielsachen bekam. Aber ein Ball war etwas anderes.
»Er kann schon richtig damit umgehen«, sagte Connie erfreut. »Mein Mark war genauso.«
»Guckt mal, was ich kann!« Will hatte sich den Ball unter den Arm geklemmt und umrundete den Kaffeetisch.
»Pass auf, Kumpel!«, rief Ellen. Oreo Figaro sprang aus dem Weg, als Will an ihm vorbeistürmte. Dann sauste er in die Küche, von dort die Treppe hinauf und wieder herunter, um seinen Sprint im Wohnzimmer zu beenden. Ellens Haus enthielt die Trainingsstrecke für kleine Jungen, die eine Karriere als Profifootballer anstrebten.
»Will ist der geborene Sportler«, sagte Connie.
»Meinst du das ernst?« Ellen griff nach Hand- und Aktentasche, während Will in der Küche herumpolterte.
»Ich sollte Mark mal mitbringen. Er könnte ihm so einiges beibringen.«
Will kam mit roten Wangen und einem strahlenden Siegerlächeln ins Wohnzimmer zurückgerannt. »Ich hab’s gemacht. Ich hab einen Yesdown gemacht.«
»Du meinst einen Touchdown«, korrigierte ihn Connie. Ellen lachte und breitete die Arme aus.
»Komm in meine Arme. Ich muss zur Arbeit fahren, und du musst in den Kindergarten.«
»Mama!« Will lief zu ihr, sie küsste ihn und strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn.
»Ich hab dich lieb. Viel Spaß in der Schule.«
»Darf ich meinen Football mitnehmen?« Will sah sie erwartungsvoll an.
»Nein«, antwortete Ellen.
»Ja«, sagte Connie im selben Augenblick.
»ICH WILL ABER!«, schrie Will.
»Hallo, mein Großer, nicht so laut.« Ellen versuchte ihn zu beruhigen. »Mit dem Ball spielt man nur draußen.«
»Ich will ihn aber mitnehmen.«
»Gut, von mir aus.« Ellen wollte nicht im Streit das Haus verlassen - ein weiterer typischer Grundsatz berufstätiger Mütter.
»Danke, Mama!« Will belohnte sie mit einer Umarmung.
Ellen bekam plötzlich Trennungsangst, viel schlimmer als gewöhnlich.
Vielleicht, weil sie wusste, was sie als Nächstes tun würde.
25
Der Verkehr stockte. Ellen sah die roten Rücklichter und die weißen Abgasschwaden vor ihr. Der Himmel war bewölkt, und es war kalt. Gefrorener Regen hatte die Äste der Bäume mit einer Eisschicht überzogen, die Straßen waren glatt. Auf der zweispurigen Straße nach Stoatesville kam man nur langsam voran. Nach der Abzweigung
lag die Corinth Street in einer Arbeitersiedlung mit vielen kleinen Reihenhäusern unweit eines stillgelegten Stahlwerkes. Ellen fuhr die Straße entlang und las die Hausnummern. Das Handy klingelte. Sie nahm es aus ihrer Handtasche, aber da sie die Nummer auf dem Display nicht kannte, drückte sie den
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