Fatal - Roman
mit den Achseln. »Vielleicht weiß Cheryl was.«
»Kann ich ihre Telefonnummer haben?«
Gerry zögerte. »Was genau wollen Sie von Amy?«
»Es gibt ein medizinisches Problem mit dem Kind«, log Ellen. Sie war auf die Frage vorbereitet gewesen.
»Muss sie ihm etwa eine Niere spenden?«
»Nein, überhaupt nicht. Sie muss höchstens einen Bluttest machen. Will hat wieder Herzprobleme. Deshalb muss ich mehr über seine Vorgeschichte wissen.«
»Amy hatte es nie am Herz. Keiner von uns. Wir kriegen alle Krebs, das liegt in der Familie.«
»Trotzdem glaube ich, dass ein Bluttest uns weiterhilft.« Ellen redete ins Blaue hinein. »Wenn es Ihnen lieber ist, lasse ich Ihnen meine Nummer da. Cheryl kann mich dann anrufen.«
»Gut, so machen wir’s.« Gerry tätschelte Ellens Schulter. »Keine Angst. Dem Jungen geht’s bald wieder gut.«
»Ich will ihn nicht verlieren«, antwortete Ellen unerklärlicherweise.
27
Im Wagen war es kalt. Ellen drehte die Heizung auf. Kaum war sie losgefahren, machte sich ihr Blackberry bemerkbar. Mit einer Hand lenkte sie den Wagen weiter, mit der anderen griff sie in ihre Handtasche. Auf dem Display erschien dieselbe unbekannte Nummer, die sie am Morgen weggedrückt hatte. Diesmal nahm sie das Gespräch an.
»Ellen, wo steckst du?« Es war Sarah Liu. Ihre Stimme klang aufgeregt. »Ich hatte dich angerufen. Du bist nicht zum Projekt-Meeting gekommen. Marcelo wollte mit uns über unsere Texte reden.«
»Verdammt.« Die Projektbesprechung am Donnerstag. Sie hatte sie total vergessen.
»Wo steckst du?«
»Mir ging es heute Morgen nicht gut.« Ellen entwickelte sich allmählich zur notorischen Lügnerin. »Wie hat Marcelo reagiert?«
»Na, was denkst du? Wann kommst du in die Redaktion?«
»Ich weiß noch nicht. Warum?« Ellen sah auf die Uhr am Armaturenbrett: 10 Uhr 37.
»Ich möchte sehen, was du bisher hast.«
Ellen spürte, wie verspannt sie war. Die Woche war beinahe vorbei, und sie hatte noch nicht einmal ihre Notizen über Laticia Williams geordnet. »Wir müssen uns nicht treffen. Ich bin ohnehin noch nicht so weit.«
»Und wann wirst du so weit sein? Morgen ist die Deadline.«
»Sarah, wir sind beide erwachsen. Weder brauchst du meine Hilfe, noch brauche ich deine. Aber erzähl Daddy nichts davon.«
»Was, zum Teufel, treibst du? Du hättest Julia Guest anrufen sollen. Ich hab den Kontakt extra für dich gemacht.«
Ellen wechselte die Fahrspur, um einen Beetle zu überholen. Sie versuchte, ihren Ärger zu verbergen. »Danke, aber ich habe meine eigenen Ideen. Ich muss nicht mit dieser Dame reden.«
»Sie ist eine wichtige Person in der Verwaltung, und sie möchte mit uns sprechen.«
»Leute, die freiwillig mit uns reden wollen, kannst du vergessen. Ich will keine Pressesprecherin interviewen.«
»Vielleicht kann sie dir Hintergrundinformationen liefern.«
»Ich weiß, was ich tue.« Ellen bremste, sie musste sich
für eine Abzweigung entscheiden. »Ich mache meine Sache fertig und du deine, einverstanden?«
»Mach, was du willst, aber halte die Deadline ein.«
»Das werde ich.«
»Bye.« Sarah legte auf, und Ellen gab Gas. Wenn sie sich nicht an die Deadline hielt, war sie ihren Job los. Sie nahm den Expressway.
Die Fahrt ging Richtung Osten. Der Himmel verhieß nichts Gutes.
28
Ellen passte Lateefs Lehrerin ab, während die Klasse unten in der Bibliothek war. Vanessa James war groß und spindeldürr. Sie machte gerade ihre Runde durch das Klassenzimmmer, sammelte auf den Boden geworfene Buntstifte und Bücher ein und stellte umgefallene Stühle wieder auf. Dabei aß sie geräuschvoll einen Apfel.
»Hat Laticia nichts dagegen, wenn wir miteinander reden?«, fragte sie.
»Das geht in Ordnung. Ich habe sie auf dem Weg hierher angerufen. Entschuldigung, dass ich so kurzfristig bei Ihnen hereinplatze.«
»Kein Problem.« Vanessa trug einen langen roten Pullover, eine schwarze Hose und Schuhe mit flachen Absätzen. Sie hatte eine tadellose Bobfrisur; winzige diamantene Ohrringe funkelten an ihren Ohrläppchen. Ihre Lippen glänzten. »Wir haben fünfzehn Minuten Zeit, bis die Kids zurückkommen. Was wollen Sie wissen?«
»Nur ein paar Dinge.« Ellen holte Notizbuch und Stift aus ihrer Tasche. »Lateef, was war er für ein Junge?«
»Was soll ich da sagen?« Vanessas Blick wurde ernst. Den Apfel aß sie nicht weiter. »Teef war unser Sonnenschein. Er war der Klassenclown, aber damit wird man ihm nicht gerecht. Er konnte jeden zum Lachen
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