Fatal - Roman
ihre selbstgedrehte Zigarette verbreitete einen scharfen Geruch. Ellen blieb bei den Fotos stehen.
»Das Mädchen mit den blauen Augen und den Sommersprossen ist wohl Amy?«
»Nein, das ist ihre Schwester Cheryl. Sie ist meine Älteste. Ich habe drei Mädchen und einen Jungen.«
Cheryl Martin hatte auf Amys Erklärung ebenfalls als Zeugin unterschrieben.
»Das hier ist Amy, unser Nesthäkchen. Wie ich die verwöhnt habe!« Gerry tippte auf ein kleines Foto in der Ecke. In Ellen kribbelte es vor Aufregung.
»Das ist Amy?«
Ein junges Mädchen, vielleicht dreizehn Jahre alt, stand neben einem roten Sportwagen. Sie hatte listige blaue Augen und dunkelblondes Haar; eine Rasta-Frisur. Sie grinste in die Kamera. Man sah ihr an, dass es Dinge gab, die sie
lieber machte, als zur Schule zu gehen. Amy und Will hatten die gleiche Hautfarbe, doch ihre Gesichtszüge waren unterschiedlich. Aber konnte man sich anhand eines einzigen Fotos ein Bild von einem Menschen machen? »Auf welchen Fotos ist Amy noch zu sehen?«
»Warten Sie.« Gerry sah die Fotos durch und lachte kurz auf. »Auf keinem einzigen! Ich sag’s Ihnen, wenn das vierte Kind unterwegs ist, hat man allmählich die Nase voll. Das verstehen Sie doch?«
»Ich habe nur ein Kind.«
»Nach dem Ersten geht’s schon los. Du bist nicht mehr scharf auf diese Hochglanzfotos. Dein Baby als Schlüsselanhänger, dein Baby als Kühlschrankmagnet - und was es sonst noch für Unsinn gibt, der uns glücklich machen soll. Setzen Sie sich doch.« Gerry deutete wieder auf die Couch.
»Danke.« Ellen setzte sich auf das Sofa und probierte den Kaffee. Er schmeckte. Damit hatte sie nicht gerechnet. »Wow.«
»Ich benutze richtige Sahne. Das ist das Geheimnis.« Gerry ließ sich in einen Sessel gegenüber der Couch fallen und stellte einen alten Kippaschenbecher auf die Armlehne. Das schwache Licht machte ihre Gesichtszüge weicher; ihr Haar hatte sie braun gefärbt, an den Spitzen war es grau und ausgefranst. Ihre Nase war klein und dick, ihr Lächeln mütterlich.
»Warum haben Sie draußen gelacht?«, fragte Ellen. Sie umklammerte die warme Tasse.
»Zuerst Sie. Was ist das für eine Geschichte von Amy und einem Baby?« Gerry zog an ihrer Zigarette.
»Das Baby war krank und lag im Krankenhaus. Ich
habe darüber geschrieben.« Ellen nahm aus ihrer Handtasche einen Zeitungsartikel und zeigte ihn Gerry, die sich nicht sonderlich dafür zu interessieren schien. Ellen steckte ihn wieder ein. »Vielleicht haben Sie in der Zeitung darüber gelesen.«
»Wir haben keine Zeitung.«
»Okay. Will, das Baby, das ich adoptiert habe, lag auf der Intensivstation. Er hatte einen Herzfehler.«
»Und Sie glauben, es war Amys Baby?«
»Ich weiß es.«
»Woher?« Gerry blies den Rauch ihrer Zigarette zur Seite. Sie wollte höflich sein. »Ich meine, wer hat Ihnen das gesagt?«
»Meine Anwältin. Sie war auch Amys Anwältin. Sie hat die Adoption zwischen uns beiden vermittelt.«
»Amy hatte …«
»Die Anwältin hieß Karen Batz.«
»Eine Frau also.«
»Ja. Sagt Ihnen ihr Name etwas?«
Gerry schüttelte den Kopf. »Und Sie sind sich sicher, dass Amy die Mutter ist? Meine Amy?«
»Ja.« Ellen stellte den Kaffee ab und kramte in ihrer Aktentasche. Sie zog die Einwilligung zur Adoption und Amys Brief mit der Corinth Street als Absenderadresse heraus und gab beides Gerry zum Lesen. Gerry zog an ihrer Zigarette und schwieg. Den Rauch blies sie auf die Gerichtspapiere.
»So ein Unsinn«, sagte Gerry halb zu sich selbst. Ellens Brust zog sich zusammen.
»Aber das ist doch Amys Unterschrift auf dem Gerichtspapier?«
»Sieht so aus.«
»Und auf dem Brief?«
»Auch.«
»Gut. Allmählich sehen wir Land. Es handelt sich also tatsächlich um Ihre Amy.« Ellen beugte sich vor und blätterte auf die nächste Seite des Dokuments. »Ist das Ihre Unterschrift?«
»Nein.« Grimmig kniff Gerry die Lippen zusammen. Falten um ihren Mund traten hervor. »Und das ist auch nicht Cheryls Unterschrift.«
Ellens Herz zog sich zusammen. »Vielleicht hat Amy die Unterschrift gefälscht. Vielleicht wollte sie das Baby zur Adoption freigeben, ohne dass ihre Familie davon erfährt.«
»Das kann nicht sein.«
»Warum nicht?«, fragte Ellen.
Gerry schüttelte den Kopf. »Amy kann keine Kinder kriegen.«
Ellens Mund wurde trocken.
»Sie ist operiert worden, als sie siebzehn war. Sie hatte ein Problem mit den Eierstöcken.« Gerry dachte nach. »Eines Morgens ist sie mit furchtbaren Krämpfen aufgewacht. Es
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