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Fatal - Roman

Titel: Fatal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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gestriegelt.
    »Was wollen Sie eigentlich von mir?«, fragte Ralston. »Ich habe viel zu tun. Wir haben heute zwei Trauerfeiern.«
    »Viele Menschen, vor allem Kinder wie Lateef Williams, sind in letzter Zeit ermordet worden. Wie hat Sie das berührt? Ihre Nichte Laticia meinte, Sie könnten mir weiterhelfen.«
    »Ich unterhalte mich mit Ihnen, aber das Interview muss respektvoll geführt werden. Bei uns ist Pietät der oberste Grundsatz.«
    »Das verstehe ich.«
    »Folgen Sie mir.« Ralston führte Ellen einen Flur entlang, der mit einem roten Teppich ausgelegt war. Sie gingen durch eine getäfelte Tür, auf der »Nur für Angestellte« stand, und stiegen in den Keller des umgebauten Reihenhauses hinab. Hier lagen keine Teppiche mehr, der Boden war grau gefliest, es wurde allmählich kühler, und es duftete nicht mehr nach Blumen, sondern es roch penetrant nach Leichenschauhaus.
    »Ist das Formaldehyd?«, fragte Ellen.
    Ralston nickte. Nach wenigen Schritten öffnete er eine
weiße Doppeltür. Der Geruch wurde strenger, an der Wand hingen weiße Kittel und Packungen mit Plastikmundschutz. Auf Stahlregalen lagerten Watteschachteln, medizinische Gefäße und Flaschen. Ellen machte sich Notizen. Sie wehrte sich gegen ein aufkommendes Frösteln. In der Mitte stand ein strahlend weißer Tisch. Ralston präsentierte ihn mit sichtlichem Stolz. »Das ist einer unserer Räume, in denen wir die Leichen präparieren. Wie Sie sehen, ist der Tisch aus Porzellan. Porzellan reagiert nicht auf die Chemikalien, die wir zur Einbalsamierung verwenden.«
    »Können Sie mir schildern, wie die Arbeitsabläufe sind?«
    »Zuerst waschen und desinfizieren wir die Leiche. Beim Einbalsamieren wird das Blut durch ein flüssiges Konservierungsmittel aus Formaldehyd ersetzt. Es ist rot. So glaubt man, der Tote würde nur schlafen.«
    Ellen machte sich eine Notiz.
    »Beim Injizieren der Flüssigkeit kommt dieses Gerät zum Einsatz.« Ralston legte seine schmale Hand auf eine gelbe Pumpe am Kopfende des Tisches. »Wir führen einen Trokar ein, mit dem wir die Eingeweide durchstechen. Über ein Rohr fließt das Blut ab. Dann desinfizieren wir die Bauchhöhle, injizieren das Konservierungsmittel und schließen die Öffnungen wieder.«
    Ellen war nicht nach weiteren Fragen zumute.
    »Wir waschen die Leiche noch einmal und reiben sie mit einer Lotion ein, die sie vor dem Austrocknen schützt. Nach dem Tod sinken die Augen in den Schädel zurück. Deshalb füllen wir die Augenhöhlen mit Watte und schieben unter die Lider eine Augenhaut aus Plastik. Auf die
Lider wird dann ein Haftmittel geträufelt, damit sie geschlossen bleiben.«
    Ellen drehte es den Magen um.
    »Der Tod verursacht auch das Erschlaffen der Gesichtsmuskeln. Der Kiefer klappt herunter. Wir präparieren die Augen und den Mund so lebensecht wie möglich. Denn Lebensechtheit ist die oberste Maxime unseres Berufsstandes.«
    »Und wie war das im Fall von Lateef?«
    »Lateefs Gesicht hatte auf einer Seite so viele Gewehreinschüsse, dass wir ein Schulfoto zu seiner Rekonstruktion benutzen mussten.«
    Ellen versuchte sich das vorzustellen. Dieses kleine, lächelnde Gesicht, das sie auf dem T-Shirt der Mutter gesehen hatte. »Konnten Sie die andere Seite seines Gesichts nicht benutzen?«
    »Nein. Durch die vielen Schusswunden war auch die andere Seite seines Gesichts entstellt. Das ganze Gesicht war aufgequollen. Aber wir haben Chemikalien, die die Schwellungen reduzieren.«
    »Womit haben Sie die Schusswunden bedeckt?«
    »Sie meinen die auf seinem Gesicht?«, fragte Ralston und schüttelte den Kopf. »Sie verstehen mich nicht. Wir haben nichts bedeckt, weil es nichts mehr zu bedecken gab. Wir mussten in diesem Fall alles rekonstruieren. Wir schnitten das zerstörte Gewebe um die Wunden herum heraus und stabilisierten die Haut, die um seine Augenhöhlen und an den Wangenknochen noch übrig war.«
    Ellen wünschte sich, er würde nichts mehr sagen. Niemand sollte von diesen Dingen erfahren. Das alles war eigentlich unvorstellbar. Trotzdem stellte sie sich vor, dass
das wunderschöne Kindergesicht, das auf diesem Tisch zusammengeklebt worden war, das von Will war.
    »Wir haben Wachs in die Schusswunden gefüllt, um die Löcher zu schließen. Mit Kosmetika passen wir das Wachs der Hautfarbe des Toten an. Manche Beerdigungsinstitute machen das mit Spritzpistolen. Wir brauchen das nicht. Ich bin seit zweiundvierzig Jahren in diesem Geschäft. Ich habe es von meinem Vater übernommen. Wir benutzen

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