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Fatal - Roman

Titel: Fatal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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bringen.«
    »Fällt Ihnen ein Beispiel ein?«
    »Darüber nachzudenken tut verdammt weh.« Vanessa warf ihren Apfel in einen verschrammten Abfalleimer. »Okay, ein Beispiel: An dem Tag, an dem alle Klassen fotografiert wurden, kam er mit einer Donald-Trump-Frisur in die Schule und behauptete, Milliardär zu sein. Als der Fotograf ihn bat, seine Haare ordentlich zu kämmen, sagte er zu ihm: ›Sie sind gefeuert.‹« Ihr hübsches Gesicht entspannte sich zu einem Lächeln, das so schnell wieder verschwand, wie es aufgetaucht war. »Seine Klassenkameraden blickten zu ihm auf. Wir hatten damals gerade die Unterrichtseinheit zur afroamerikanischen Geschichte abgeschlossen, und zu Martin Luther Kings Geburtstag wollten alle, dass Teef ihn spielte. Er lernte ein paar Zeilen aus ›I have a dream‹ auswendig, und alle waren begeistert. Er liebte es, sich vor der Klasse zu produzieren.« Vanessa hielt kurz inne. »Von der Auffassungsgabe her war er schnell wie der Blitz. Ich nehme dieses Jahr einfache Addition und Subtraktion durch. Teef hätte problemlos schon Bruchrechnen und Geometrie lernen können. Er war auch gut in Diktat und Satzbau. Die neuen staatlichen Richtlinien legen großen Wert auf solche Dinge.«
    »Wie sehen diese Richtlinien aus?«
    »Es gibt eine Menge verschiedener Kategorien, die alle
von uns Lehrern ausgefüllt werden müssen. Da wird zum Beispiel gefragt, ob der Schüler neugierig ist.« Vanessa lachte leise. »Lateef war in allen Fächern gut. Er war ein besonderes Kind.«
    Ellen machte sich schnell ein paar Notizen. »Wie haben die Mitschüler auf seinen Tod reagiert?«
    Vanessa schüttelte den Kopf. Sie weinte plötzlich. Ihr Blick wanderte zu den roten Papierherzen an der großen Pinnwand. Über ihnen stand in goldenen Glitzerbuchstaben: Freu dich auf den Valentinstag in der 2B!
    Ellen ließ der Lehrerin Zeit zu antworten. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass Schweigen oft der beste Fragensteller ist.
    »Für diese Kinder ist der Tod nichts Besonderes. Zwei Kinder sind in diesem Schuljahr schon getötet worden, und es ist erst Februar.« Vanessa sah mit geröteten Augen zur Pinnwand. »Aber Lateef … Jeder kannte ihn. Jeder liebte ihn. Man hat nach seinem Tod Leute vom Kriseninterventionsteam in die Schule geschickt. Dieser Junge war so voller Leben. Wir alle vermissen ihn.
    »Sprechen die Kinder darüber?«
    »Einige schon, andere weinen nur. Sie sind nicht mehr dieselben. Sie haben ihre Arglosigkeit verloren.« Vanessa presste die Lippen zusammen. »Ich sehe überall eine tiefe Traurigkeit, die sich immer mehr in die Herzen hineinfrisst. Diese Kinder sind zutiefst betrübt - wenn sie Glück haben.«
    Ellen verstand nicht. »Wie meinen Sie das?«
    »Manche wissen gar nicht, was ihnen Sorgen bereitet. Sie können ihre Gefühle nicht ausdrücken. Sie agieren sie aus. Sie prügeln sich, beißen, treten, tyrannisieren einander.
Die Welt, in der sie leben, ist voller Gefahren - und das wissen sie.« Vanessa zeigte auf eine Bank am Fenster. »Das war Teefs Platz. Jetzt bleibt er jeden Tag leer. Ich wollte die Bank schon entfernen lassen. Aber das würde es wahrscheinlich noch schlimmer machen.«
    Ellen fühlte Schmerz in sich aufsteigen. Sie dachte an Wills Spind im Kindergarten. Sein Name stand darauf, und es gab ein Bild von Thomas, der kleinen Lokomotive. Was, wenn dieser Spind eines Tages leer bliebe - und zwar für immer? »Wie haben Sie sich entschieden?«
    »Ich werde die Bank stehen lassen. Das ist das Beste. In der ersten Woche nach seinem Tod hatten wir eine kleine Gedenkfeier organisiert. Die Kinder haben Blumen mitgebracht. Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas.« Vanessa ging zu Teefs Bank, Ellen folgte ihr. Die Lehrerin hob den Deckel hoch. Verwelkte rote Rosen, deren Blätter schon schwarz wurden, und Berge von Karten lagen darin. »Das sind Karten zum Valentinstag. Jeden Tag legt jemand eine hinein. Das bringt mich noch um.«
    Ellen sah sich die Karten an. Das bringt mich noch um.
    »Wissen Sie, mit wem Sie reden müssen, wenn Sie die Morde wirklich verstehen wollen?«
    »Mit wem?«, fragte Ellen gespannt.
    »Mit meinem Onkel.«

29
    Blumenduft erfüllte den Vorraum des Bestattungsinstituts, in dem sich Ellen mit einem schlanken, kurzbeinigen Mann unterhielt. Ralston Rilkey, der Besitzer des Instituts, war Anfang sechzig, sein kurz geschnittenes Haar war an den Schläfen ergraut. Er hatte eine niedrige Stirn und eine breite Nase. Seinen ebenfalls angegrauten Schnauzbart hatte er akkurat

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