Fatal - Roman
sie gewechselt. Sie hatte nicht einmal geduscht. Mehrmals hatte sie auf dem Weg zur Redaktion ihre Mails gecheckt, aber Amy Martin hatte ihr nicht geschrieben.
Reiß dich zusammen.
»Guten Morgen, meine Liebe«, rief ihr Meredith Sander auf dem Weg zum Kaffeeautomaten zu. Ellen gelang es, zu lächeln.
»Hallo, Mer.« Sie versuchte, die Bravermans zu vergessen, doch ihr dröhnte der Kopf. Der Newsroom war ziemlich leer. Sie bemühte sich, ihre Gedanken für den Artikel zu ordnen, und sah, wie Sarah und Marcelo in seinem Büro miteinander lachten.
Na großartig.
Ellen war sich sicher, dass es mit der guten Stimmung vorbei sein würde, wenn sie mit leeren Händen das Büro betrat. Sie stellte ihre Handtasche auf dem Schreibtisch ab und hängte ihren Mantel auf. Da sah sie, dass auch noch Sal und Larry, die journalistischen Idole ihrer Jugendzeit, Marcelos Büro betraten. Mussten ausgerechnet diese beiden Zeugen ihrer großen Blamage werden? Sie fasste sich ein Herz und marschierte los. Marcelo verfolgte ihr Eintreten von seinem Schreibtisch aus.
»Ellen, herein mit dir.« Marcelo lächelte, und seine Augen glänzten dunkel. »Ich habe deinen Entwurf nicht bekommen. Hast du ihn mir nicht gemailt?«
Ellen nahm sich ein Herz. »Marcelo, ich bin noch nicht fertig. Es tut mir leid.«
Sarah sah zu ihr herüber, Larry und Sal drehten sich um, und Marcelo schloss kurz die Augen. »Du bist nicht fertig?«, fragte er ungläubig.
»Nein, leider nicht.« Ihr pochten die Schläfen. »Ich habe mich vergaloppiert. Ich brauche noch ein paar Tage.«
»Vielleicht kann ich dir helfen. Dafür bezahlt man mich.«
»Nein, das kannst du nicht«, sagte sie. Marcelo lächelte sie immer noch wohlwollend an.
»Zeig mir, was du bis jetzt hast. Mir kommt es nicht auf Perfektion an. Diese beiden Faulpelze hier sind auch nicht vollkommen.« Marcelo zeigte auf Larry und Sal. »Ihre Artikel musste ich wie immer von A bis Z überarbeiten.«
»Leck mich«, sagte Sal, und alle außer Ellen lachten. Sie musste jetzt mit der Wahrheit herausrücken.
»Marcelo, um ehrlich zu sein, ich habe noch keine Zeile geschrieben.« Sie fühlte sich nackt und verletzbar. Alle sahen sie überrascht an. Am meisten verwundert war Marcelo.
»Keine einzige Zeile?« Es klang enttäuscht.
»Keine Sorge«, verkündete Sarah fröhlich, »ich habe ihren Job gemacht.«
»Ruhig bleiben, bitte!« Marcelo hob beschwichtigend die Hand, denn Ellen bedachte Sarah mit bösen Blicken.
»Du hast meinen Job gemacht? Was meinst du damit?«, fragte Ellen.
Sarah ging auf die Frage nicht ein. »Marcelo, Ellen hat sich geweigert, mit Julia Guest zu sprechen. Also habe ich es getan und einen Artikel daraus gemacht. Ich denke, dass er dem ganzen Thema eine menschliche Note verleiht.« Sie übergab ihm ein paar Seiten eines ganzen Stapels Papier, den sie vor ihre Brust hielt. »Sieh ihn dir an.«
Ellen war sprachlos. Sarah hatte ihr gerade ein Messer in den Rücken gerammt. Dieses Miststück wollte ihren Job, und sie tat alles, um ihn zu kriegen.
»Wer ist diese Julia Guest?«, fragte Marcelo.
»Sie ist sehr engagiert im Kampf gegen die Gewalt und hat ihre Gemeinde dafür sensibilisiert. Sie kennt alle wichtigen Leute und ist die wichtigste Informationsquelle des Bürgermeisters.«
»Was hat sie konkret gemacht?«
»Sie hat letzten Monat die Demos und eine der Mahnwachen organisiert.«
»Ist sie Lokalpolitikerin?«
»Nicht offiziell.«
»Danke. Das ist nicht das, was ich mir vorstelle.« Marcelo gab ihr verärgert das Manuskript zurück. »Wenn sie persönlich nicht betroffen ist, ist sie keine Story wert.«
Ellen räusperte sich. »Ich habe eine Mutter interviewt, die ihren Sohn verloren hat. Ein Zweitklässler, der erschossen worden ist. Ich habe auch mit der Lehrerin des Jungen gesprochen und mit dem Bestattungsunternehmer, der seine Leiche präpariert hat.«
Sal stieß einen Pfiff aus. »Trauernde Mütter sind eine sichere Bank.«
Larry nickte. »Die Geschichte mit dem Bestatter finde ich auch gut. Das ist originell.«
Marcelo schien erleichtert zu sein. »Okay, Ellen. Du hast den Artikel bloß noch nicht geschrieben. Wann kannst du damit fertig sein?«
»Nächsten Freitag?«
»Sie arbeitet an einer Fortsetzung der Sulaman-Geschichte«, unterbrach Sarah sie.
Ellen zeigte offen ihre Empörung. »Was redest du für einen Unsinn?«
»Du arbeitest an einer Fortsetzung der Sulaman-Geschichte, stimmt das etwa nicht?«, fragte Sarah in aller Ruhe. »Deswegen
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