Fatal - Roman
wieder keine Nachricht dabei. Sie rief zu Hause an, um Will eine gute Nacht zu wünschen, und bestellte sich dann endlich etwas zu essen. Marinierten Fisch als Vorspeise, danach ein rotes Bastschiffchen, das mit Sushi beladen war, und zu guter Letzt einen perfekten Cappuccino mit Mandelgebäck - für den Moment machte sie das alles zu einem wunschlos glücklichen Menschen.
Die Bravermans aßen ein Tiramisu als Nachspeise und tranken Kaffee dazu. Bill rauchte eine letzte Zigarette, es war seine dritte. Carol hatte nicht geraucht, also brauchte Ellen für ihre DNA-Probe entweder ihr Wein- oder ihr Wasserglas. Die beiden hatten den ganzen Abend über miteinander geplaudert und gelacht. Sie schienen ein glückliches Ehepaar zu sein.
Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie die besseren Eltern sind.
Bill bestellte die Rechnung. Auch Ellen winkte ihrem Kellner. Sie zahlten etwa zu gleicher Zeit; Ellen stand Sekunden nach den Bravermans auf, bereit, sich auf deren Tisch zu stürzen.
Auf die Plätze!
Als sie im Trubel der Straße verschwunden waren, rannte sie los, aber eine Reisegesellschaft schob sich zwischen sie und blockierte den Weg. Als sie zum Tisch kam, hatte der Kellner die Gläser schon abgeräumt.
Verdammt!
»Tisch nix sauber«, sagte der Kellner mit einem charmanten Akzent und räumte die Teller scheppernd in eine braune Plastikwanne.
»Ich bleibe nur kurz. Ich will nur ein Dessert.« Und schon saß sie auf Bill Bravermans Stuhl.
»Tisch nix sauber.« Der Kellner griff nach dem Aschenbecher, aber Ellen nahm ihn ihm wieder ab.
»Danke. Ich rauche nämlich.« Im Aschenbecher lagen die drei Zigarettenkippen von Bill, aber leider kein Kaugummi von Carol.
Der Kellner ließ sie jetzt in Ruhe, aber einer seiner Kollegen war dabei, vier hungrige Gäste zu ihrem Tisch zu führen. Jetzt musste es schnell gehen. Ihr Herz pochte. Sie zog die Plastikhandschuhe aus der Hosentasche, nahm die Kippen aus dem Aschenbecher, öffnete unter dem Tisch die Papiertüte, bugsierte die Zigarettenreste hinein und ließ alles schnell in ihrer Handtasche verschwinden.
»Entschuldigen Sie, Miss. Haben Sie reserviert?«, fragte der andere Kellner. Ellen schüttelte den Kopf und stand auf.
»Ich habe mich nur kurz ausgeruht. Danke.« Und schon war sie zwischen Skateboardern, Inline-Skatern und Hundebesitzern verschwunden.
Ellen war bester Laune. Bills DNA-Probe konnte ihr niemand mehr wegnehmen.
Die halbe Miete.
52
Ellen drehte ein paar Runden, nachdem Carol, gefolgt von Bill in einem grauen Maserati, ihren Jaguar in der Einfahrt abgestellt hatte. Die Straßen waren leer. Für die rassigen Sportwagen war Nachtruhe angesagt. In manchen Häusern brannte Licht. Hinter den Vorhängen unterhielten Fernseher mit Riesenbildschirmen die Bewohner. Der Himmel leuchtete in einem satten Meerblau.
Bills Zigarettenkippen beflügelten Ellen zu neuen Taten. Wie konnte sie zu Carols DNA-Probe kommen? Fingernägel, Taschentücher, Briefumschläge …
Briefumschläge?
Sie bog in die Surfside Lane ein, den grünen Briefkasten der Bravermans im Visier. Doch der rote Zeiger war nicht hochgestellt. Keine Briefe also für sie oder den Briefträger zum Mitnehmen.
Spielverderber.
Das Haus war dunkel, nichts rührte sich. Nur das Surren der Sprinkleranlage war zu hören. Diese modernen Windräder drehten sich hier nachts vor jedem Haus. Das übergroße Bild von Timothy - oder Will - starrte geisterhaft in die Nacht. HELFEN SIE UNS, UNSEREN SOHN
WIEDERZUFINDEN.
Vielleicht doch nicht heute Abend.
Ellen wollte gerade in ihr Hotel zurückfahren, als im ersten Stock Licht anging. Da das Zimmer keine Vorhänge hatte, konnte sie Bill erkennen, der sich an einen Tisch setzte. Kurz darauf wurde sein Profil von einem Computerbildschirm angestrahlt.
Ellen parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Vermutlich war Bill in seinem Arbeitszimmer. An den Wänden konnte man Aktenschränke und Bücherregale erkennen. Er saß einige Minuten vor dem Computer, dann stand er auf. Kurze Zeit später ging die Haustür auf, und Bill kam mit einer Mülltüte in der Hand heraus.
Igitt!
Sie duckte sich und beobachtete ihn im Außenspiegel. Bill verstaute die Tüte in einer großen grünen Mülltonne, die er zum Straßenrand rollte. Dann ging er zurück ins Haus. Erst als die Tür ins Schloss fiel, verließ sie ihren unbequemen Beobachtungsposten. Das Licht im Arbeitszimmer wurde ausgeschaltet, das Haus lag wieder im Dunkeln.
Abfall ist bestimmt eine
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