Fatal - Roman
war.
»Wie geht es?«, fragte Marcelo ungewohnt kühl. Ellen erschrak.
»Um es kurz zu machen: Sarah hat bei mir zu Hause angerufen. Will hat ihr erzählt, dass ich beruflich unterwegs bin.«
»Ich weiß. Sie war gerade bei mir im Büro. Du kannst dir denken, warum.«
O nein. »Was hast du ihr gesagt?«
»Was hätte ich ihr sagen sollen? Dass diese Lüge auf unserem Mist gewachsen ist, nachdem wir uns in der Küche unsere Zuneigung gestanden haben?«
Ellen errötete. »Marcelo, es ist meine Schuld.«
»Ich hätte den anderen nicht erzählen dürfen, dass du krank bist. ›Was geht’s euch an, wo sie steckt‹, hätte ich sagen müssen. Dann wären wir aus dem Schneider.«
Ellen hatte Marcelos Autorität untergraben. Ein Reporter durfte seinen Redakteur niemals anlügen. Der ganze Newsroom redete jetzt darüber und wartete darauf, welche Konsequenzen Marcelo aus der Sache zog. »Was hast du ihr also gesagt?«
»Ich habe ihr gesagt, dass ich nach deiner Rückkehr mit dir reden werde. Was für ein Idiot ich manchmal bin.«
»Nein, das finde ich nicht«, beeilte Ellen sich zu sagen. Aber sie hörte auch den Subtext heraus: Warum habe ich dir nur diesen verdammten Kuss gegeben?
» Ich darf dich nicht bevorzugen. Ich will dich aber auch nicht rauswerfen.«
»Du musst noch keine Entscheidung treffen. Ich bin noch weg. Das verschafft uns für ein paar Tage Luft. Ich muss hier erst einmal meine Situation klären.«
»Welche Situation, bitte?«, fragte Marcelo voller Ungeduld. Da fuhr der weiße Jaguar aus der Ausfahrt der Bravermans in Richtung Hauptstraße.
»Einen Augenblick.« Ellen legte das Handy beiseite, drehte den Zündschlüssel um, gab Gas und geriet in den schlimmsten Feierabendverkehr. Musik dröhnte aus den Autos, in manchen wurde geraucht, in fast allen telefoniert. Der Abstand zwischen ihr und Carol durfte nicht allzu groß werden.
»Ellen, bist du noch dran?«
»Marcelo, warte eine Sekunde.«
»Verdammt, was ist los mit dir? Ich kann dir doch helfen.«
»Entschuldige, aber es ist gerade nicht der beste Zeitpunkt.« Carol bog vor dem Damm unerwartet nach rechts ab. Ellen steuerte den Wagen auf die rechte Spur. Das Handy fiel auf den Boden, direkt neben das Gaspedal.
»Marcelo, bis bald!« Ellens Reifen quietschten, als sie um die Ecke bog. Um ihren Job oder den von Marcelo konnte sie sich jetzt keine Gedanken mehr machen.
Sie fuhr bei Rot über die Ampel.
50
Ellen folgte Carrol zwischen rosaroten und kanariengelben Gebäuden am South Beach hindurch. Der stockende Verkehr auf der Collins Avenue trieb einem den Schweiß ins Gesicht. Ein weißer Hummer-Geländewagen hatte sich wie ein Trampeltier auf Rädern zwischen sie gedrängt. Vorn bog der Jaguar nach links ab, der Hummer und Ellen folgten ihm in eine schmale Straße mit Lieferanteneingängen für Boutiquen und Restaurants. Protzige Wagen
und schäbige Müllcontainer bestimmten das Bild. Carol hielt hinter einem geparkten Cabrio an, der Geländewagen donnerte an ihr vorbei, und Ellen blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Zum Glück sah Carol nicht zu ihr herüber.
Sie fuhr im Schritttempo weiter und beobachtete im Rückspiegel, dass Carol ausstieg, den Wagen absperrte und zur nächsten Querstraße ging. Sie trug jetzt ein eng anliegendes knallrotes Kleid, ihr langes dunkelblondes Haar fiel locker über die Schultern.
Jetzt aber schnell!
Ellen stellte ihren Wagen im Halteverbot ab und hetzte die Straße hinunter. Ihre Cloggs klapperten entsetzlich. Sollte es je eine weitere Observierung geben, war dieses Schuhwerk absolut tabu. Es sei denn, sie musste das Privatleben eines Brauereipferdes erkunden.
Carol ging in eine Straße, die für den Verkehr gesperrt war, Ellen in sicherem Abstand hinter ihr. Models in handtuchschmalen Miniröcken, schnurrbärtige schwule Paare, Clowns mit bemalten Gesichtern und europäische Touristen bummelten die Fußgängerzone entlang. Eine Dame, die eine Federboa um ihren Hals geschlungen hatte, führte eine Abordnung Zwergspitze spazieren. Beautyshops, Kleiderboutiquen, Dessousläden und Souvenirgeschäfte luden zum Geldausgeben ein. Die Lincoln Road war ein einziger Marktplatz, inklusive Catwalk für die potenziellen Kunden.
Carols rotes Kleid machte es Ellen leicht, sie zu verfolgen. Kubanische, chinesische und italienische Restaurants hatten Tische ins Freie gestellt; Carol blieb bei einem Sushilokal stehen und unterhielt sich mit einem Kellner, der
offensichtlich auf seine Entdeckung als
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