Fatal - Roman
nicht, es auszusprechen. Sie hatte Angst, in einen Abgrund zu stürzen, in eine Dunkelheit, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Ihr Herz hatte jede Orientierung verloren. Alles, was sie bisher am Leben erhalten hatte, schien ihr plötzlich abhandengekommen zu sein. Sie brach in krampfhaftes Schluchzen aus. Es war eine Erlösung. Das Nächste, woran sie sich später erinnern konnte, war, dass Marcelo die Arme um sie schlang und sie sich in seinem Hemd vergrub, in dem noch der Bürogeruch hing, der sie an ihr früheres Leben erinnerte.
Marcelo sagte: »Ganz gleich, was es ist, wir finden einen Weg. Alles wird gut, du wirst sehen.« Er hielt sie fest, wiegte sie sanft und sagte immer wieder, dass alles gut werden würde. Sie hörte ihm zu. Die ganze Situation kam ihr unwirklich und märchenhaft vor.
»Ich habe einen Fehler, einen schrecklichen Fehler begangen.« Sie sah durch ihre Tränen zu ihm hoch. Er war
ihr ganz nahe, strich ihr sanft über die Wange und wischte ihr die Tränen ab. Als sich ihre Blicke begegneten, lag so viel Wärme und Zärtlichkeit in seinen Augen - hatte ein Mann sie je so angesehen? Er senkte den Kopf und küsste ihren Mund. Erst einmal, dann noch einmal.
»Alles wird gut«, flüsterte er. »Ich bin bei dir, und gemeinsam schaffen wir es.«
»Meinst du?«
Er küsste sie wieder, und sie küsste ihn zurück, voller Leidenschaft. Sie lieferte sich ihm aus, und er schenkte ihr Trost und Stärke. Beide glaubten sie für ein paar Augenblicke an ein gutes Ende. Aber sie wusste, dass ihre schlimmsten Ängste wahr werden würden. Nichts und niemand könnte das verhindern. Auch er würde das einsehen müssen, wenn sie ihm die Wahrheit sagte.
Doch erst einmal suchten ihre Hände seinen Rücken. Sie zog ihn zu sich, und er antwortete, indem er sie noch fester an sich drückte, sie noch stürmischer küsste. Er atmete schneller, als sie beide zur Couch gingen und auf sie niedersanken.
Sie spürte, wie er sie gegen das Leder drückte - oder vielleicht war sie es, die ihn auf sich zog, bereit, sich in ihm zu verlieren und alles zu vergessen: Amy, Carol, ja sogar Will. Jetzt war sie keine Mutter mehr, sie war nur noch Frau. Die Leidenschaft seiner Küsse und das Gewicht seines Körpers löschten jede Sorge und Angst in ihr aus.
Marcelo half ihr, sich aus dem Mantel zu winden. »Ich darf doch?«, flüsterte er. Ellen streckte die Arme hoch, damit er ihr den Pullover ausziehen konnte. Wie liebevoll er sie ansah! Er hielt kurz inne, dann wanderte sein Blick von
ihrem Gesicht über ihren Hals zu der schwarzen Spitze ihres BHs.
» Meu deus, voce tao linda «, sagte er. Obwohl Ellen kein Portugiesisch verstand, spürte sie die Begierde in seinen Worten. Sie wich zurück. Sie wollte sich nicht länger wie ein Teenager an ihrem Liebsten festklammern. Doch ihre Brust hob und senkte sich voller Verlangen, und sie hörte ihr Herz laut pochen. Mit Tränen in den Augen sah sie ihn an und verschlang ihn mit ihren Blicken.
»Du bist so schön«, sagte Marcelo. Für einen Augenblick waren beide jenseits von Zeit und Raum, jenseits von Gier, und sahen sich ernst und zärtlich in die Augen. Sie wussten nun, dass etwas Neues für sie begonnen hatte. Es war gleichgültig, was die Zukunft bringen würde. Denn das hier war kein flüchtiges Abenteuer mehr, es war kein One-Night-Stand. Marcelo drehte seinen Kopf leicht zur Seite und stellte ihr so die Frage, die er nicht aussprechen wollte.
»Ja«, flüsterte Ellen und breitete die Arme aus.
Marcelo kam zu ihr. Sie küssten sich leidenschaftlich und lange, Arme und Beine ineinander verschlungen. Nach und nach fielen immer mehr Kleidungsstücke auf den Boden, bis schließlich kein Stoff mehr ihre heißen Körper voneinander trennte.
70
Sie wachte auf und war nackt. Ihr Kopf lag auf Marcelos Brust, die nach Moschus duftete. Wie viel Uhr es wohl war? Im Zimmer war es dunkel. Er hatte irgendwann das Licht ausgemacht. Nur die Straßenbeleuchtung, die durch die Rollläden drang, erhellte ein wenig den Raum. Sie wand sich aus seinen Armen und sah auf die Uhr. Es war neun Uhr abends. Angst befiehl sie. Das Leben außerhalb dieser Wohnung kehrte zurück. Wie erbarmungslos es war! Plötzlich wusste sie, was geschehen war - als hätte eine geheime Stimme ihr die schreckliche Wahrheit zugeflüstert.
Amy war ermordet worden. Auch Karen Batz war ermordet worden. Rob Moore tötete jeden, der wusste, dass Will in Wirklichkeit Timothy war.
Ellen sprang von der Couch und suchte ihre
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