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Fatales Vermächtnis

Fatales Vermächtnis

Titel: Fatales Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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mehr. Er ihnen auf den Leim gegangen. Tödlichen Leim.
    Gistan betrachtete die Weinflasche, griff nach ihr und setzte die Öffnung an den Mund. Ihm war mehr nach Trunkenheit.

    Kontinent Ulldart, im Zentrum Borasgotans, Spätsommer im Jahr 2 Ulldrael des Gerechten (461 n.S.)
    Zvatochna hatte ihn gespürt, den Ruck, den Riss, mit dem ein Teil ihres Lebens für immer hinter ihr geblieben war.
    Als Kind hatte sie einmal einen Drachen steigen lassen, und sie hatte sofort an das Gefühl einer reißenden Schnur denken müssen.
    Sie verglich sich mit jenem Drachen: ohne Halt, dem Wind ausgesetzt, ziellos und ohne ein Zuhause oder einen Landeplatz. Es gab nichts mehr, wo sie niedergehen konnte, und das Gefühl machte sie verzweifelt, wütend und rasend zugleich.
    Blind war sie umher gestürmt, war über das Land geflogen und hatte nicht gewusst, was zu tun war. Sie gehörte plötzlich zu dem Heer der verlorenen Seelen, ihrem eigenen Heer, und war vom Befehlshaber zu einem Soldaten herabgestuft worden.
    Irgendwann hatte das Denken wieder eingesetzt, und sie zwang sich zur Ruhe. Die Seelen - das war das Gute - gehorchten ihr noch immer, auch wenn es schwerer fiel, Anweisungen durchzusetzen. Ihre neue Daseinsform bedeutete lediglich, dass sie ihre
    Pläne anders angehen musste, aber nicht, dass sie vollkommen
    verloren waren.
    Zvatochna hatte den Seelen befohlen, sich nicht von der Stelle zu rühren und auf sie zu warten. Sie selbst war auf der Suche nach
    dem passenden Objekt für ein Experiment. Sie wurde fündig: ein Totendorf. Leichname gab es hier meistens mehr als genug, und sie wählte
    den erstbesten, den sie finden konnte.
    Man hatte eine Tote auf einen Stapel Holz gelegt und sie zum
    Verbrennen vorbereitet; überall auf der Haut hafteten Teer und
    Pech. Sie war höchstens dreißig Jahre und an den Folgen der Fleischfäule gestorben. Zvatochna störte sich nicht daran, dass ihr die rechte Brust und der rechte Arm fehlten, sie wollte lediglich etwas herausfinden.
    Und so senkte sie sich in die Leiche und nahm Besitz von ihr. Es fiel ihr leicht, hatte jedoch gleichzeitig etwas von Puppenspiel. Dann aber öffnete Zvatochna die Augen der Toten und sah wirklich! Sie richtete sich auf und bewegte die Arme und Beine, den Kopf, Hände und Füße — aber sie spürte gleichzeitig, dass es nicht sie war. Es fühlte sich an, als trüge sie einen zu großen Mantel, die falsche Kleidung.
    Zvatochna stand auf, rutschte vom Scheiterhaufen und ging umher, schwankte und fiel zweimal, bis sie sich an den fremden Körper gewöhnt hatte. Sie atmete nicht, es gab keinen Herzschlag. Eine Marionette für ihre Seele.
    Auf der Straße war man auf sie aufmerksam geworden. Laute Rufe erklangen, und die Menschen eilten herbei; einige zeigten schreckliche Entstellungen, andere trugen vereiterte Verbände und durchgeblutete Lappen über ihren Wunden. »Schaut, sie lebt noch!«, erklang der Ruf zwischen den schiefen Hütten.
    Zvatochna war angewidert, sowohl von den Menschen als auch von dem Leib, den sie sich geborgt hatte.
    »Verschwindet!«, schrie sie ihnen entgegen, und der Leichnam öffnete den Mund und gab ihren Ruf mit fremder Stimme wieder. Sie musste raus aus dem verrottenden, hässlichen Körper!
    Mit einem Schrei fuhr sie aus der Toten und schwang sich
    empor, flog weit hinauf, ohne sich noch einmal nach dem Dorf
    umzusehen.
    Sie fasste den Entschluss, ein weiteres Experiment anzugehen.
    In der nächsten Siedlung schwebte sie nieder und betrachtete die Einwohner in aller Ruhe. Sie suchte nach einer Frau, die ihren
    Ansprüchen genügte. Einer jungen und schönen Frau.
    Zvatochna fand wirklich ein Mädchen von geschätzten siebzehn Jahren, in voller Blüte und doch eine halbe Knospe. Sie saß an einem Tisch und schnitt Wurzelgemüse klein. Die Nekromantin versuchte, Besitz von ihr zu ergreifen, aber es gelang ihr nicht, in den Leib einzudringen. Das Leben, das in der Heranwachsenden pulsierte, hielt sie ab. Die junge Frau spürte, dass sie von etwas umgeben war, das ihr Böses wollte, und schaute sich furchtsam um, ohne etwas erkennen zu können. Sie schlang die Arme um sich, Gänsehaut bildete sich, dann ging sie zum Küchenherd und warf ein Scheit ins Feuer, um die Kälte zu vertreiben.
    »Werde ich dich erst töten müssen?« Zvatochna machte sich bereit, sie zu attackieren - und entschied sich anders.
    Nicht weil sie Erbarmen gehabt hätte, sondern weil sie zwei Gedanken beschäftigten. Zum einen würde sie wieder nur in eine tote

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