Fatales Vermächtnis
dass du
aus Sorge gehandelt hast.«
Gän schnaufte und bleckte die Zähne; er war unsicher, ob er ihr glauben durfte. »Ihr werdet mir verzeihen, wenn ich abwarte, was wir in den kommenden Tagen mit Euch erleben«, antwortete er schließlich. »Bis dahin sage ich zum Amulett nichts.«
»Du?«, machte sie verwundert. »Was hast du denn...?« Sie schaute zu Tokaro. »Ich dachte, dass du es verwahrt hättest?«
Der Ritter machte eine beschwichtigende Geste. »Wo es ist, ist es sicher. Erst die Qwor, Estra. So haben wir es besprochen.«
»So soll es auch sein«, stimmte sie zu und sah zu Lorin. »Suchen wir Jarevrän.«
»Ist Euch inzwischen eingefallen, wo man sich vor den Kreaturen verbergen könnte?« Gän hielt die breite Hand unwillkürlich auf die Wunde, in der es zog und die sich wärmer anfühlte. Lorin zuckte mit den Achseln. »Ich kann es nicht sagen.« Er deutete die Straße entlang. »Gehen wir und halten Ausschau.«
Mit diesen Worten setzte er sich an die Spitze. Tokaro stieg auf Treskor und zog Estra zu sich in die Höhe; den Abschluss bildete Gän.
Das Quartett marschierte durch eine verlassene Welt.
Alles, was ihnen unterwegs rechts und links der Straße begegnete, waren zerstörte Siedlungen, brennende Gehöfte und leere Ruinen. Sie marschierten bereits drei Tage nach Osten, und außer den Qworspuren und gelegentlichem Gebrüll, das sich stets weit weg von ihnen befand, entdeckten sie nichts. Den Spuren nach gab es nach wie vor nur den einen Qwor, was sie erleichterte. Die wenige Zeit der Rast nutzt Tokaro, um die Arbeiten an seiner neuen Rüstung abzuschließen; er hatte in den verlassenen
Behausungen genügend Material und Werkzeug gefunden.
Auf einer Kreuzung hielten sie an. Lorin bückte sich, fuhr mit den Fingern durch den Dreck und suchte nach Hinweisen. »Das gibt es doch nicht!«, machte er sich Luft. »Bleiche Göttin, wo sind sie abgeblieben?« Er stand auf und ging zu einer großen Tanne, um nach oben zu steigen. »Das kann nicht sein«, sagte er dabei. »Tausende Menschen sind nicht in der Lage, einfach zu verschwinden.«
»Und wenn sie die Qwor doch gefressen haben?« Gän beobachtete so unauffällig wie möglich, was Estra und Tokaro trieben. Er verstand sich als Beschützer des Ritters, und sobald die Inquisitorin einen Hauch des Fluches zeigte, würde er sich zwischen sie und Tokaro werfen. »Ich wünsche es mir selbstverständlich nicht, doch...« Er dachte nach. »Sie könnten die Menschen zusammengetrieben haben. Wie Vieh auf einer Weide.«
»Glaube ich nicht«, kam es aus der Baumkrone, Äste knirschten und Laub raschelte. Lorin befand sich weit oben. »Die Qwor sind zwar mächtig, doch so viele Menschen vermögen sie nicht in Schach zu halten.«
»Doch, könnten sie«, meinte der Nimmersatte leise, damit er ihn nicht vernahm. »Herr Ritter, was denkt Ihr, wie groß die Ausgeburten inzwischen geworden sind?«
Tokaro, der hinter Estra auf Treskor saß und sich eng an sie schmiegte, tat sich schwer, die Hände und die Aufmerksamkeit von ihr zu lösen. Er genoss die gewonnene Eintracht. »Wieso sollten sie rasch wachsen?«
»Ich habe etwas gesehen!«, rief Lorin nach unten. »Es sieht aus wie die Überreste einer alten Festung, größtenteils zerfallen. Es scheinen sich einige Menschen dort aufzuhalten.«
»Warte, ich komme zu dir.« Tokaro gab Estra einen Kuss auf den Hinterkopf und rutschte zu Boden, um gleich danach den Baum zu erklimmen. Trotz des Kettenhemdes kam er sehr gut voran und erreichte bald seinen Bruder. Er blickte in die angegebene Richtung. Dort erhob sich ein Bollwerk, wie man seinesgleichen sogar auf
dem festungsreichen Ulldart suchen müsste.
Es stand inmitten eines Waldes, teilweise von Bäumen überwuchert, teilweise hatten sich die Grundmauern der Natur erfolgreich entgegengestemmt. Die Reste eines viereckigen Turmes ragten neben einer Goldtanne schief nach oben. Tokaro kam es so vor, als veranstalteten Stein und Baum ein langsames Um-die-Wette-Wachsen, wer zuerst den Himmel berührte. Die Menschen sah er als bunte, sich bewegende Punkte. »Was für eine Festung war das?«
Lorin erinnerte sich an die Legende des alten Bardhasdronda. »Ich glaube, es ist die alte Stadt, die Vorgängerin des heutigen Bardhasdronda. Damals reichte das Meer bis hierher, und als sich die Wellen auf Geheiß der Bleichen Göttin zurückzogen, eilten die Menschen ihnen nach.« Er ließ den Blick schweifen. »Es müssten die Reste der Zitadelle sein, die Stadt selbst
Weitere Kostenlose Bücher