Fatales Vermächtnis
wird nicht mehr existieren.«
»Warum sollten sich die Flüchtlinge hierher zurückziehen?« Tokaro verfolgte, wie die Menschen auf den Mauern umherliefen; andere hingen mit Seilen an der Außenwand des Turmes, um auf die Plattform zu gelangen.
»Sieh nach Norden«, rief Lorin aufgeregt.
Tokaro drehte den Kopf - und der Schreck fuhr ihm so sehr in die Glieder, dass er sich festhalten musste: Weniger als eine Meile von ihnen entfernt tobte ein riesiger Qwor durch den Wald. Im Vergleich zu dem Wesen, das er und Gän am Strand getötet hatten, erreichte dieses Exemplar die doppelten Ausmaße! Es fegte Bäume zur Seite, immer wieder rumpelte und krachte es, und der Qwor brüllte.
»Angor stehe uns bei«, sagte er. »Er hält in gerader Linie auf die Ruine zu.«
»Das habe ich auch bemerkt.« Lorin sah seinem Halbbruder in die Augen. »Wir müssen ihn aufhalten, bevor er die Flüchtlinge erreicht.«
»Das sehe ich ebenso.« Tokaro machte sich an den Abstieg,
Lorin folgte ihm. »Gän, halte dich bereit!«, rief er nach unten. »Schnitz dir eine Keule oder einen dicken Speer. Wir haben den Qwor entdeckt.« Als er keine Antwort erhielt, spähte er durch die Äste und sah den Nimmersatten zusammengebrochen auf der Straße liegen. »Gän?« Obwohl er es nicht wollte, verdächtigte er Estra sofort, etwas damit zu tun zu haben. Er sprang auf den Boden und rannte zu dem Krieger, der auf dem Rücken lag, eine Hand in Höhe der alten Wunde unter die Rüstung geschoben. Tokaro legte die Stelle frei: Blut und Eiter sickerten zwischen den großen Fingern hervor. Lorin kam zu ihm gelaufen. »Die Wunde hat sich entzündet. Aber ich hatte sie gereinigt.« Die Wundränder färbten sich dunkler, es sah gefährlich nach Brand aus; trotz allem war er froh, dass seine Geliebte nichts damit zu tun haben konnte. Estra erschien auf der Kreuzung, in der Hand hielt sie ein Büschel frischer Kräuter. »Diese hier kenne ich von Ulldart«, sagte sie und zerrieb sie. Es duftete intensiv, und eine ölige Flüssigkeit trat aus den zerbrochenen Stängeln. »Ich habe seine Wunde gesehen und mich auf die Suche nach Arznei gemacht. Die Kräuter werden den Eiter restlos herausziehen und die Entzündung bekämpfen.« Sie presste die Halme fest zusammen und ließ die Tropfen in das blutige, eitergefüllte Loch sickern. »Was ist das für ein Lärm?«, fragte sie, während sie sich um die Versorgung der Wunde kümmerte.
»Der zweite Qwor. Er hat die Flüchtlinge entdeckt.« Auf den Nimmersatten konnten sie im Kampf nicht zählen, und Estra durfte er nicht in Gefahr bringen. Er tauschte das Kettenhemd gegen seine Lamellenrüstung aus und legte die Beinlinge, die umgearbeiteten Handschuhe und den Helm an. »Es bleibt an uns allein hängen«, sagte er zu Lorin und schwang sich auf Treskor, dann zog er die aldoreelische Klinge. »Du wirst ihn ablenken oder anlocken, während ich ihn erledige.«
Lorin starrte ihn an. »Allein? Du hast gesehen, wie groß...«
»Mir wird nichts geschehen«, unterbrach Tokaro seinen Bruder und machte eine ungeduldige Handbewegung. »Steig auf, damit
wir ihn einholen. Die Bäume halten ihn auf. Danach müssen wir
sehen, wie wir weiter vorgehen.«
Lorin hatte nicht die notwendige Überzeugung, es allein mit der Kreatur aufnehmen zu können - und stieg dennoch auf. »Ich vertraue dir, Tokaro«, sagte er ernst.
Der Ritter sah zu Estra. »Warte hier auf uns.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das wäre mir nicht recht. Ich will ihn wenigstens auf die Beine bringen. Wir versuchen, das Läger zu erreichen. In welcher Richtung liegt es?« Tokaro zeigte nach Osten. »Dann treffen wir uns dort.« Sie schenkte ihm ein warmes, liebevolles Lächeln. »Ihr werdet es schaffen.«
Tokaro lenkte Treskor nach Norden, um auf dem Weg entlang zureiten, bis sie die Schneise fanden, welche der Qwor hinterlassen hatte. Staub wirbelte hinter den Hufen auf, bald waren sie verschwunden.
Das Lächeln auf Estras Antlitz wandelte sich zu etwas Bösartigem, als sie sich zu Gän wandte. »So, mein nimmersatter Freund, der gern ein Ritter sein möchte«, raunte sie und zog weitere Kräuter aus den Taschen ihres Kleides. »Gleich unterhalten wir uns über das fehlende Amulettstück.« Sie schob die Blätter in den Mund, kaute sie und drückte dann den schleimigen Klumpen in Gans Mund. Er schluckte von selbst.
Estra setzte sich auf seine Brust und wartete, bis er die Augen aufschlug. Derweil rann sein eitriges Blut aus der offenen Stelle und lief auf die
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