Faunblut
was sie verdienen. Verdursten wäre zu gut für sie. Wer wie eine Bestie tötet, soll durch die Bestien umkommen.«
Jade musste sich von den Käfigen abwenden. Dabei fielen ihr die Adeligen auf, die auf der gegenüberliegenden Galerie standen. Nur ein Einziger trug keine Maske. Und er sah nicht in die Arena, sondern starrte fassungslos zu Jade herüber. Jade hatte mit einem Mal das Gefühl zu fallen, endlos und unwiderruflich.
Faun!
Er war schmaler geworden, hagerer, was seine herbe Schönheit noch betonte. Einen magischen Moment lang sahen sie sich über den Hof hinweg an. Es war, als würden Feuer und Eis Jade gleichzeitig berühren: Verzweiflung, Liebe und Sorge – und die strategische, beherrschte Entscheidung zu handeln, koste es, was es wolle.
Lord Davans Stimme schleuderte sie in die Wirklichkeit zurück: »Betet, ihr Mörder!«, schrie er in den Hof. »Und zählt eure letzten Minuten!«
Jade taumelte zurück und schnappte nach Luft. Ruhig bleiben , befahl sie sich. Denk nicht an Lilinn. Der Winterprinz, nur der Winterprinz ist wichtig. Lord Davan beugte sich weit über die Balustrade und hielt nach den Raubtieren Ausschau. Jade nutzte den Moment der Ablenkung, wandte sich um und rannte in den Saal zurück. Im Vorbeilaufen packte sie eines der Messer vom Tisch und stürzte auf die Tür zu. Erst dachte sie, der Aufschrei hinter ihr gelte den Bestien, aber dann hörte sie den ersten Schuss.
Jade wollte zur Tür stürzen, als eine Eskorte von Jägern in den Raum stürmte. Rußspuren auf der Haut ließen die Truppe aussehen wie Dämonen. Der scharfe Geruch von verbranntem Leder breitete sich aus. Jade schluckte. Tanía hatte also bereits zugeschlagen! Dann erkannte sie die Anführerin der Jäger. Graue Augen weiteten sich vor Überraschung, als Moira auch sie erkannte, doch die Jägerin zögerte keine Sekunde, sondern rannte an ihr vorbei in den Saal. »Verräter in den eigenen Reihen!«, rief sie den Lords zu. »Die Rebellen dringen über die Menagerie in den Palast ein. Weg von den Galerien!«
In diesem Augenblick fiel der zweite Schuss. Die Festgesellschaft verstummte und wich zurück. Nur einer der Adeligen, der eine Fuchsmaske trug, blieb stehen. Er drehte sich langsam zu Moira um und griff sich an die Brust. Blut färbte seine Finger. Er klappte den Mund auf, als ob er etwas sagen wollte, dann brach er zusammen. Triumphgebrüll aus der Arena übertönte die Löwen. Dann brach das Chaos aus. Die Adeligen strömten in den Saal zurück, Jäger und Wächter drängten aus dem Flur hinein zur Galerie.
»Runter!« Moira versetzte Jade einen Stoß. Jade ging in Deckung und kroch zu einem der Festtische und von dort aus zu einer der schmaleren Galerietüren an der Seite.
Sie zuckte zusammen, als ihre Hand in etwas Nasses griff. Verschütteter Wein? Jade sah ihre Hand an und hätte vor Erleichterung am liebsten aufgeschrien. Martyn hatte es geschafft! Sie hob den Kopf. Tatsächlich: Wasser floss über eine der Wände und kroch über den Boden. Die anderen drei Wände waren noch trocken, aber auch dort fing es an: erst als dunkler gezackter Rand – Flecken auf dem Stein, als würden Schattenfinger aus der Ritze zwischen Decke und Wand in den Raum tasten. Die Finger wurden länger und länger und verbreiterten sich zu Strömen. Das waren also die Brunnen der Könige gewesen: Wände aus Wasser, in denen sie sich spiegeln konnten! Beinahe hätte sie gelacht, so einfach war die Lösung.
Doch im selben Augenblick durchzuckte sie ein schneidender, sirrender Ton, der in ihren Ohren schmerzte. Der Ruf! Eine Bewegung ließ sie zusammenzucken. Dann musste sie unwillkürlich lächeln. Amber. In Jades Gestalt lächelte sie ihr zu und deutete in die Richtung der alten Säle. »Danke!«, flüsterte Jade.
In diesem Augenblick erschütterte eine dumpfe Detonation den Boden. Irgendwo im Schloss war etwas explodiert. Staub quoll durch die Tür. Jade sprang auf und rannte geduckt zur Galerie. Vielleicht würde sie ein Stück klettern müssen, aber es war der einzige Ausweg.
Auf der Galerie hatte niemand die Explosion bemerkt, der Kampf war in vollem Gang. Jade prallte zurück, als ein Rebell das Geländer erklomm und aus nächster Nähe auf einen Jäger schoss. Der Mann fiel gegen die Balustrade und fasste sich an die Seite. Von einer Sekunde zur nächsten wich alle Farbe aus seinem verzerrten Gesicht, doch er hielt sich immer noch auf den Beinen. Im nächsten Moment schrie der Rebell auf und riss die Arme hoch. Seine
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