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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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lautlos, als wäre er nur ein Traum gewesen. Nicht einmal Schritte hörte sie, und sie fragte sich, warum sich Faun so erstaunlich sicher im Dunkeln bewegte.
    »Jade?«, fragte Lilinn besorgt.
    Jade schluckte schwer und ging mit weichen Knien in den ersten Stock hinauf. Als sie am Fenster vorbeihuschte, schlug ihr Herz bis zum Hals. Fast fürchtete sie, Lilinn würde ihr ansehen, was passiert war. Sie wünschte, sie würde nicht rot werden, sobald ihre Freundin ihr ins Gesicht sah, doch dieser Wunsch erfüllte sich nicht. Dafür gab Lilinn ebenfalls ein ungewöhnliches Bild ab: Ihr wunderschönes Nixenhaar floss in goldenen Wellen bis über ihre Hüfte. Sie hatte sich offenbar hastig eine dünne Decke um den Körper geschlungen. Jeder Dummkopf hätte erkannt, dass sie darunter nackt war. Sie bemerkte Jades Verwunderung und senkte verlegen den Blick. »Lass uns schlafen gehen«, murmelte sie.
    Seite an Seite gingen sie zurück zu den Zimmern. Erst viel später fiel Jade auf, was sich ihr in dieser verwirrenden Nacht am Rande ihres Bewusstseins noch offenbart hatte: Die Tür, aus der Lilinn auf den Flur getreten war, stand noch halb offen. Und sie führte in Jakubs Zimmer.
    *
    An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. Bis zum Morgengrauen kauerte Jade auf dem schwarzen Bett, mit rasendem Herzen und einem Gefühl in der Brust, als würden Sehnsucht und Furcht sie gleichzeitig versengen und frösteln lassen. Hinter ihren geschlossenen Lidern wirbelten die Bilder: das Echo, Lilinn und Jakub, Tam, die Blauhäher, die Rebellen, das Ding in der Kiste – und Faun! Immer wieder Faun. Sie spürte seine Berührung, als wäre er noch in ihrer Nähe. Und wenn sie den Kopf zur Seite neigte, glaubte sie noch, seinen Duft wahrzunehmen, der sich in ihren Locken verfangen hatte. Erst als das graue Morgenlicht durch die Läden fiel, begannen die Bilder zu verblassen, und sie lehnte erschöpft den Kopf auf ihre Knie.
    Sie träumte von der goldenen Barke der Lady. Die Wila war eisengrau und glatt – genauso grau war die Maske, die die Lady über dem Gesicht trug. Ein strenges, schönes Gesicht mit eisernen Nasenflügeln und in Metall getriebenen, wie Schwalbenflügel gebogenen Brauen. Das einzig Lebendige waren ihre Augen, grau und glänzend wie Rauchquarz. Sie stand aufrecht, mit stolz erhobenem Kopf, ihr kupferrotes Haar wehte im Wind. Ihre Arme lagen gekreuzt über der Brust. Wie immer trug sie graue Handschuhe und als Richtstab ihre Lilie aus Eisen in der Rechten. Jade blinzelte im Traum, sie wollte nach Faun rufen, wollte alles tun, um ihn vor der Lady zu warnen, doch Kehle und Körper waren wie gelähmt. Dann entdeckte sie ihn – auf der Barke, zu Füßen der Lady. Wie ein Verurteilter kniete er mit gesenktem Kopf zu ihrer Linken. »Entscheide dich!«, sagte Lady Mar. Dann deutete sie mit der Lilie auf ihre rechte Seite, und Jade erkannte, dass dort noch jemand kauerte. Martyn!
    Ein Flattern ließ sie auffahren. Durch die schmalen Öffnungen der Fensterläden tasteten sich Lichtfinger in die Dunkelheit des Zimmers. Noch benommen vom Traum, nahm sie die Schatten von Vögeln wahr, die vor den Läden vorbeiflogen. Die Blauhäher , dachte sie. Und war mit einem Mal hellwach.
    *
    Alles hatte sich verändert. Sogar das Fenster am Ende der Treppe. Jade hatte noch nie so viel Unbehagen gespürt, als sie die Treppe hinunterlief und auf die Straße blickte. Dort draußen musste es gestanden haben. Das Echo, das ihr auf der Spur war. Ihr Atem stockte, als sie sich an die Dämonenfratze erinnerte. Rasch lief sie in Richtung Küche. Im selben Moment, als sie an der Kellertür vorbeihuschen wollte, flog diese auf, und ein Fremder trat auf den Gang. Jade war so verblüfft, dass sie stehen blieb und den Mann nur anstarrte. Er trug Jakubs Kleidung und hatte rotbraune Locken, die allerdings viel kürzer waren als die von Jakub. Dann verzog der Mann mit den braunen Augen das Gesicht zu einem breiten, verlegenen Lächeln, das sie unter Tausenden wiedererkannt hätte.
    »Jakub!«, rief sie völlig entgeistert aus.
    Lilinn hatte wirklich recht gehabt. Ohne Bart sah er schockierend jung aus – jedenfalls jünger als die achtunddreißig Jahre, die er zählte. Jade war noch nie aufgefallen, dass er ein gut aussehender Mann war, mit klaren Zügen, schönen Lippen und etwas zu kantigem Kinn.
    »Herrje, Jade, mach den Mund wieder zu«, murmelte Jakub und rieb sich über die glatten Wangen. »Ich dachte einfach, es ist an der Zeit, die alten Bärte

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